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Die schönste Zeit des Lebens

Die schönste Zeit des Lebens

Titel: Die schönste Zeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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nichts zu tun, hat der Kellner zu Protokoll gegeben. Die hätten ganz friedlich am Tisch gesessen, bis der mit dem Stirnband gekommen sei und den Bankert mitgebracht habe …
    Robert überlegt, ob er seiner Mutter erzählen soll, was vorgefallen ist. Oder Herrn Wesendonk oder Frau Stechapfel. Seine Mutter würde ihm sicher raten, sich da rauszuhalten. Helfen kannst du dem Andy sowieso nicht, würde sie sagen, und: Wenn bloß Vater nichts davon erfährt.
    Und Frau Sternheim? Was würde sie sagen? Auf einmal glaubt Robert Frau Sternheims Stimme zu hören, ganz deutlich hört er, wie sie zu ihm sagt: Sie bewundern diesen Andy für das, was er getan hat, nicht wahr?
    Ja, flüstert Robert.
    Vielleicht, sagt Frau Sternheim, wäre es besser gewesen, wenn er nicht gleich zugeschlagen hätte. Aber …
    Aber?
    Bei den Nazis wurden Menschen wie Gregor ermordet, in speziellen Kliniken, von Ärzten, die ihnen die Todesspritze verabreichten. Und Gregor ist schließlich Andys Bruder …
    Ja, sagt Robert. Er ist sein Bruder.
    Auf dem kleinen Tisch neben seinem Bett liegt der Band mit Gedichten von Rilke. Robert steckt den Schlagring in die Tasche und legt seine Hand auf das Buch, als wolle er sich auf diese Weise des Beistands und des Trostes versichern, den die Verse zu geben vermögen. Aber natürlich weiß er, dass sie ihm in dieser Lage nicht wirklich helfen können, ihm nicht und Andy schon gar nicht. Er wird Andy sagen, dass es richtig war, dass er sich schützend vor seinen Bruder gestellt hat, und dass der Kellner ein Schwein ist und dass sie alle zu ihm stehen, was auch immer kommen mag. Und dann?
    Gestern Abend, als Andy, Gregor und Marita davongefahren waren, waren Fari und er den ganzen langen Weg zu ihr zu Fuß gegangen. Über ihnen der Himmel mondlos, aber sternenklar, die Luft kühl und unbewegt. Sie hatten über Andy gesprochen, über ihn und seinen Bruder Gregor, und dass sie selbst mehr Mut hätten beweisen müssen, dass sie hätten aufstehen und den Kellner zurechtweisen sollen, dann hätte der Andy vielleicht nicht zuschlagen müssen und hätte nun nicht schon wieder die Polizei am Hals. Es ist so schwer, hatte Robert gesagt, im richtigen Moment das Richtige zu tun, und Fari hatte genickt, und dann hatten sie beide lange nichts mehr zu sagen gewusst.
    Schließlich hatte Robert angefangen, von Frau Sternheim zu erzählen, von den Gedichten, die er ihr neuerdings vorlese, von der unbegreiflichen Schönheit dieser Verse, die ihn, auch wenn sie sehr traurig seien, merkwürdig zuversichtlich stimmten. Einfach, weil sie so schön seien und weil man, wenn man sie lese, auf einmal glaube zu begreifen, worauf es ankomme im Leben. Er frage sich, warum ihm das in der Schule, wo sie ja gelegentlich auch ein Gedicht gelesen hätten, nie so gegangen sei. Jetzt, wenn er sie Frau Sternheim vorlese, seien die Gedichte auf geheimnisvolle Weise lebendig, im Klang seiner eigenen Stimme nähmen sie Gestalt an, so, als sei er ihr Schöpfer, als erschaffe er sie in diesem Augenblick selbst.
    Liest du mir mal einige der Gedichte vor?, hatte Fari gefragt, bevor sie sich vor ihrer Haustür verabschiedeten, und Robert hatte sie angesehen, als habe sie eine taktlose Frage gestellt oder eine äußerst schwierige, deren Beantwortung langes Nachdenken und komplizierte Abwägungen erfordere.
    Vielleicht findest du die Gedichte gar nicht so toll …
    Probier es doch einfach aus, hatte Fari gesagt und gelacht.
    Für Fari war alles ganz einfach. Nur was Andy anging, da hatte auch sie keine Lösung parat.

40
    KRANKENSCHWESTER ALSO , sagt der Vater. Und aus welchem Land kommen Sie?
    So hat Robert seinen Vater lange nicht erlebt, so gesprächig, so aufmerksam und interessiert.
    Aus Deutschland, sagt Fari. Aber meine Familie kommt aus dem Iran.
    Sie sind also, sagt der Vater, von der Herkunft Perserin.
    Fari ist in Deutschland geboren, sagt die Mutter.
    Jaja, das habe ich schon begriffen. Der Vater lehnt sich zurück, ist, wie es scheint, mit der Auskunft durchaus zufrieden, aber dann hakt er doch noch einmal nach. Und warum sind Ihre Eltern aus Persien weg?
    Jetzt mischt Robert sich ein: Schon mal was von Chomeini gehört?
    Er erschrickt selbst ein wenig über den schneidenden Ton, mit dem er das sagt. Ihm ist die Art, wie der Vater Fari ausfragt, peinlich. Aber Fari selbst scheint das überhaupt nicht zu stören.
    Mein Vater war ein hoher Beamter im Bildungsministerium unter dem Schah, sagt sie. Die Mullahs hätten ihn verhaftet oder umbringen

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