Die schönsten Dinge
der nicht viel zu tun und den ganzen Tag dafür Zeit hat. So verschlafen er aussieht, so schnell arbeitet er. Er wird mit einem Werkzeug aus seinem Sortiment die lachhaften Schlösser an zwei Glasvitrinen im Eingangsbereich knacken. Die Studenten und Akademiker werden einfach an ihm vorbeilaufen, ohne ihn eines zweiten Blickes zu würdigen.
Anders ist kein nervöser Typ, er hat keine Angst, erwischt zu werden. Dafür kennt er die Zauberkraft von Uniformen zu gut, sein Vater hat sie ihm gezeigt: Als Onkel Syd jung war und es noch keine Sicherheitsetiketten gab, hat er ein gutes Jahr lang ordentlich damit verdient, in Kaufhäusern ganze Ständer voll teurer Kleidung aus dem Haupteingang zu schieben. Menschen in Arbeitskleidung erregen kein Misstrauen, und niemand sieht ihnen ins Gesicht. Als zweite Möglichkeit, nicht aufzufallen und tun zu können, was er will, falls eine Situation keine Uniform erlaubt, kann Anders auch mit Kuli und Klemmbrett umgehen.
Zuerst hat er die Glasvitrine geöffnet, in der die Fakultät Besuchern, Studierenden und Kollegen erfolgreiche Veröffentlichungen präsentiert. Zoologen in der Presse steht darüber. Die Beiträge auf weiÃem Papier kleben auf blauem Karton. Zwei von ihnen hat Anders gegen Veröffentlichungen ausgetauscht, die identisch aussehen, aber als Forschungsleiterin Dr. Ella Canfield anführen. Sie werden nicht zu übersehen sein, es sei denn, man hat sie schon hundert Mal gesehen, dann bemerkt man keinen Unterschied.
Die zweite Vitrine enthält den Wegweiser, eine breite Platte mit Dutzenden von Aluminiumschildern, auf denen Namen und Zimmernummern schwarz eingraviert sind. An einen der vielen leeren Plätze hat er ein Schildchen mit meinen Angaben gesetzt, das er von zu Hause mitgebracht hat. Er hat geräuschvoll und möglichst auffällig gearbeitet und mit dem Schildchen gegen das Glas geschlagen. Danach ist er laut trampelnd von dannen gezogen. Auch das hat er so gelernt. Zuschauer werden misstrauisch, wenn sich jemand betont unauffällig benimmt. Er ist durch den Haupteingang hinausgegangen, nach links abgebogen und wird hinter dem Gebäude warten, um später alles wieder rückgängig zu machen. Wenn unser Timing stimmt, biegt er um die Ecke und sieht Daniel Metcalf die Anhöhe heraufkommen.
Wenn Daniel das Gebäude erreicht, wird er einer Frau die Tür aufhalten, die es gerade verlässt. Sie ist Anfang fünfzig, könnte aber als jünger durchgehen. Sie trägt ein tailliertes Tweedkostüm, schwarze Pumps und eine schwarze Brille an einer Kette um den Hals. Die Frau wird ihn mit einem Augenaufschlag anlächeln. Er wird das Lächeln erwidern. Und schon ist eine Verbindung hergestellt. Er ist fremd hier und unsicher, vielleicht wird er ab und zu auf einen Lageplan blicken, den er in der Hand hält. Sie dagegen gehört hierher und kennt sich aus. Es ist nur natürlich, wenn sie ihn anspricht.
»Kann ich Ihnen helfen?«, wird sie fragen. Sie könnte die Sekretärin des Dekans sein oder eine Verwaltungsangestellte, aber das ist sie nicht.
»Ich möchte zu Ella Canfield«, wird Daniel sagen.
»Oh«, wird Ruby antworten. Sie spielt diesmal unsere Lotsin. Ihre Aufgabe ist es, sich unbeteiligt zu geben, den Kunden aber in Wirklichkeit zu mir zu führen. Sie wird die Nase rümpfen, als würde sie mich kennen, aber auf mich herabsehen. Vielleicht winkt sie Daniel den Flur entlang. »Dr. Canfield. Wenn sie sich nicht gerade im Labor Utensilien zusammenleiht oder auf einer Exkursion ist, finden Sie sie in ihrem Büro. Zweiter Stock. Gleich beim Aufzug.«
Auf diese Auskunft wird sich Daniel Metcalf verlassen. Er wird nicht an dem Schalter unter dem Schild Information nach mir fragen, dafür wird er im Vorbeigehen auf dem Wegweiser an der Wand meinen Namen sehen. Meine Familie ist ein Team aus Profis, die zusammenarbeiten wie Rädchen in einem Uhrwerk. Die nächsten Minuten werden den Ausschlag geben. Es sind Momente wie diese, die meinen Job zu dem aufregendsten der Welt machen. Beinahe könnte mir Daniel Metcalf leidtun.
Noch vor ein paar Jahren, als die Universitäten überquollen vor Forschern und Ideen, wäre unsere kleine Invasion deutlich schwieriger gewesen. Ein Glück für uns, dass das Denken nicht mehr geschätzt wird. Die Universitäten haben sich von überfüllten Instituten mit viel zu vielen Wissenschaftlern auf
Weitere Kostenlose Bücher