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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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merkten sie sofort, dass der Wind bei weitem stärker war, als sie angenommen hatten. Der Weg war kaum noch zu sehen. Die Kufenspuren wurden im Nu von Schnee verweht, und der Weg ließ sich nur noch dadurch erkennen, dass er höher lag als das übrige Gelände. Über dem weiten Feld wirbelte Schnee auf, und man konnte nicht die Linie sehen, wo sich Himmel und Erde vereinigten. Auch der Wald von Teljatino, der sonst immer gut sichtbar war, zeichnete sich durch den Schneevorhang nur hin und wieder wie ein verschwommener dunkler Streifen ab. Der von links kommende Wind wehte die Mähne an Muchortys straffem Hals und den nur mit einem einfachen Knoten nach oben gebundenen Schweif beharrlich zur Seite. Gegen das Gesicht von Nikita, der auf der Windseite saß, wurde der breite Mantelkragen gedrückt.
    »Er kann nicht richtig ausholen, der Schnee stört«, sagte Wassili Andrejitsch, der stolz auf sein rassiges Pferd war. »Als ich mal mit ihm nach Paschutino gefahren bin, da hat er mich in einer halben Stunde hingebracht.«
    »Was?«, fragte Nikita, dessen Ohren vom Kragen verdeckt waren.
    »Nach Paschutino, sage ich, sind wir nur eine halbe Stunde gefahren!«, schrie Wassili Andrejitsch ihm zu.
    »Da gibt’s nichts – ein forscher Gaul!«, sagte Nikita.
    Eine Weile schwiegen beide. Aber Wassili Andrejitsch hatte das Bedürfnis zu sprechen.
    »Na, hast du deiner besseren Hälfte eingeschärft, den Böttcher nicht mit Schnaps zu traktieren?«, begann er mit unverändert lauter Stimme und war dabei so fest überzeugt, dass es für Nikita schmeichelhaft sein musste, sich mit einem derart bedeutenden und klugen Menschen gleich ihm zu unterhalten, und so zufrieden mit seinem Scherz, dass ihm gar nicht der Gedanke kam, Nikita könnte dieses Gespräch unangenehm sein.
    Und da Nikita die sich im Wind verflüchtigenden Worte des Herrn nicht verstanden hatte, wiederholte Wassili Andrejitsch laut und deutlich den Scherz mit dem Böttcher.
    »Sollen sie treiben, was sie wollen, Wassili Andrejitsch, ich denk nicht drüber nach. Mir geht’s nur drum, dass die Frau nicht meinen Jungen benachteiligt, und sonst – Gott mit ihr!«
    »Ja, gewiss«, stimmte Wassili Andrejitsch zu. »Na, und wie ist’s mit dem Pferd, wirst du zum Frühjahr eins kaufen?«, ging er zu einem andern Thema über.
    »Da werde ich wohl nicht drum rumkommen«, antwortete Nikita, seinen Mantelkragen zurückschlagend, und beugte sich zu seinem Herrn herüber. Das war ein Thema, das Nikita interessierte, und er wollte sich kein Wort entgehen lassen.
    »Mein Junge ist herangewachsen«, fuhr er fort, »er muss jetzt selbst pflügen. Bis jetzt haben wir immer jemand gedungen.«
    »Na, dann nimm doch den Beskostretschny, du sollst ihn billig haben!«, schrie Wassili Andrejitsch, der sich in guter Stimmung befand und daher sofort zu seiner Lieblingsbeschäftigung überging, die all sein Sinnen und Trachten ausfüllte – das Abschließen eines vorteilhaften Geschäfts.
    »Oder wenn Sie mir vielleicht so ungefähr fünfzehn Rubel geben würden, dann könnte ich auch auf dem Rossmarkt eins kaufen«, sagte Nikita. Er wusste, der Gaul, den Wassili Andrejitsch ihm andrehen wollte, war allerhöchstens sieben Rubel wert, Wassili Andrejitsch würde ihm aber einen Preis von fünfundzwanzig Rubeln berechnen, und dann bekäme er ein halbes Jahr lang kein Geld von ihm zu sehen.
    »Es ist ein gutes Pferd«, fuhr Wassili Andrejitsch fort. »Ich bin auf deinen Vorteil bedacht wie auf meinen eigenen. Nach bestem Gewissen. Brechunow wird niemanden übervorteilen. Lieber nehme ich einen Verlust auf mich, ich mach es nicht wie andere Leute«, schrie er so erregt, wie er immer mit den Verkäufern und Kunden sprach. »Auf Ehre, es ist ein ausgezeichnetes Pferd!«
    »Das ist es wohl«, sagte Nikita mit einem Seufzer, und da er merkte, dass er nicht weiter zuzuhören brauchte, zog er die Hand vom Kragen zurück, der ihm sofort wieder Gesicht und Ohren verdeckte.
    Eine halbe Stunde fuhren sie schweigend. Von der Seite, an der sein Pelz zerrissen war, wurde Nikita vom Wind tüchtig durchgeblasen; aber er krümmte sich zusammen und atmete gegen den Kragen, der ihm den Mund verdeckte, wodurch er die Kälte weniger spürte.
    »Was meinst du, sollen wir über Karamyschewo oder geradeaus fahren?«, fragte Wassili Andrejitsch.
    Der Weg über Karamyschewo war vielbefahren und zu beiden Seiten durch stabile Absteckpflöcke gut gekennzeichnet, aber er war weiter. Geradeaus hatte man es näher, doch dieser

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