Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
ihm stiegen in die Tiefe. Kurz danach erbebte die Erde; aus den Seitenwänden und aus unbekannten Schlünden brachen starke Gewässer mit furchtbarer Macht hervor, ergossen sich verheerend in die besten Erzgänge und füllten mit rasendem Tempo die Schächte und Gruben des Silberbergwerkes.
So strafte der strenge Berggeist die mörderischen und übermütigen Frevler. Alle 1400 Bergknappen ertranken, nicht weniger als 700 Ehefrauen wurden an diesem schrecklichen Tag zu Witwen und dreimal so viele Kinder zu vaterlosen Waisen.
Der Bergspiegel des Venedigermännchens
Zu einem Bauern in Landschach bei Knittelfeld kam viele Jahre lang ein kleines Männchen, das seiner Sprache und seinem Aussehen nach ein Italiener war und insgeheim von den Leuten in der Gegend das Venedigermandl genannt wurde. Es hielt sich stets einige Tage beim Bauern auf, und da es für die ihm freundlich gewährte Unterkunft immer eine reichliche Belohnung hinterließ, war das Männchen jedes Mal ein gern gesehener Gast.
Man wusste nicht, woher der Italiener war und was ihn in die Gegend führte; auffällig nur war, dass er zur Mitternachtszeit auf dem sich hinter dem Wohnhaus befindlichen Krautacker umherwandelte und auch jedes Mal, wenn er abreiste, mehrere schwere Säcke mitnahm, während er doch, wenn er ankam, kein Gepäck mithatte.
Als einst der alte Hofhund verendete, der das Haus bewacht hatte, sah sich der Bauer genötigt, einen anderen Wachhund zu kaufen. Dieser aber war sehr bösartig; nur die Hausangestellten ließ er ungeschoren, alle übrigen Leute mussten sich vor ihm in Acht nehmen. Als nun der Italiener wiederkam und sich zur Mitternachtszeit auf den Krautacker begab, wäre er vom Hund beinahe in Stücke zerrissen worden; nur ein schnelles Einschreiten des Bauern auf den Hilferuf des Italieners rettete diesen. Das Männchen verlangte vom Bauern die Entfernung des böswilligen Hundes. Da aber der Bauer nicht einwilligte, so erklärte der Italiener, in Zukunft nicht mehr zu kommen. Und wirklich reiste er sofort ab und ließ sich nicht mehr in der Gegend blicken.
Jahre vergingen. Der Bauer fühlte das religiöse Bedürfnis, eine Wallfahrt zu unternehmen. Er pilgerte zum Luschariberg, und nachdem er seine Andacht verrichtet hatte, gelüstete es ihn, eine Reise durch Italien zu machen, um fremde Gegenden und Ortschaften zu besichtigen.
Er kam auch in eine Stadt, die sehr reich an großen und schönen Palästen war. Unter den Letzteren fiel ihm besonders ein stattliches Gebäude auf, das sich durch die Pracht seiner Bauart vor allen anderen Häusern der Stadt auszeichnete. Er staunte dasselbe eine Weile an. Mit einem Male klopfte ihm jemand auf die Schulter; es war ein Fremder, wie ein Bediensteter gekleidet, der den Bauern einlud, ihm in das Haus zu folgen. Der Bauer zögerte anfangs, der Aufforderung zu folgen, doch bald besiegte die Neugierde das Misstrauen. Der Diener führte ihn über breite Marmortreppen und durch prachtvolle, mit kostbaren Statuen und Bildern gezierte Gänge und Säle in ein kleines Zimmer, in welchem der Herr des Hauses den Erstaunten auf das Freundlichste begrüßte. Wie wunderte sich nun der Bauer, als er in dem fremden, vornehmen Herrn den Italiener erkannte, der früher so oft nach Landschach gekommen war, und sich zur Mitternachtszeit auf den Krautacker begeben hatte. Der Eigentümer des Hauses zeigte dem Bauern alle seine Schätze und lud ihn hierauf zu Tisch. Während der Mahlzeit erzählte er, dass sein ganzer Reichtum aus Landschach, und zwar von des Bauern Krautacker herstamme, und sagte:
„Wenn Ihr diesen Krautacker näher kennen würdet, hättet Ihr es nicht mehr nötig, Euch zu plagen!“
Dies schien nun dem Bauern unglaublich, der Herr aber versprach, ihn von der Wahrheit seiner Aussage zu überzeugen und führte ihn in ein kleines Zimmer, in dem sich nichts als ein mittelgroßer Spiegel in einfacher, vergoldeter Einrahmung befand.
„Seht da in diesen Spiegel hinein, und dann werdet Ihr meinen Worten vollsten Glauben schenken!“, sprach der Hausherr.
Der Bauer tat, wie ihm der Herr gesagt hatte, und erstaunte gewaltig, als er anstatt seines Bildes eine Landschaft erblickte; er erkannte im Spiegel die Ansicht der Gegend, in welcher er sich befand. Aber sein Erstaunen wurde immer größer, als dieses Spiegelbild nicht gleich blieb, sondern sich veränderte und stets neue Ansichten zeigte. Es waren dies lauter ihm bekannte Bilder; er erkannte die Umgebung vom Luschariberg und die Gegenden,
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