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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Informationen werden durch willkürliche Konstrukte wie Raum und Zeit konzeptualisiert und –«
    »Los, Philip, kommen Sie zum Punkt«, unterbrach Tony ihn. »Wie hat dieser Typ Ihnen geholfen?«
    »Warten Sie, dazu komme ich schon. Ich habe noch nicht mal drei Minuten gesprochen. Das hier sind nicht die Fernsehnachrichten ; ich kann die Schlussfolgerungen eines der größten
Denker der Welt nicht als Sensationsmeldung präsentieren.«
    »Hey, hey, weiter so, Philip. Die Antwort gefällt mir«, sagte Rebecca.
    Tony lächelte und machte einen Rückzieher.
    »Kant entdeckte also, dass wir die Welt nicht so erleben, wie sie wirklich ist, sondern unsere höchstpersönliche, von uns selbst bearbeitete Version davon. Kategorien wie Raum, Zeit, Menge, Kausalität sind unsere eigenen und nicht von außen vorgegeben – wir zwingen sie der Realität auf. Was ist dann aber reine, unverfälschte Realität? Das, was da draußen wirklich ist, jener Rohstoff, ehe wir ihn verarbeiten? Der wird für uns nie erkennbar sein, meinte Kant.«
    »Schopenhauer – wie er Ihnen geholfen hat! Erinnern Sie sich? Laufen wir uns langsam warm?«, fragte Tony.
    »Zu ihm kommen wir in neunzig Sekunden. In ihrem späteren Werk wandten Kant und andere ihre ganze Aufmerksamkeit der Art und Weise zu, wie wir Primärrealität bearbeiten.
    Schopenhauer dagegen – sehen Sie, da sind wir schon! – ging einen anderen Weg. Er behauptete, Kant habe eine fundamentale Quelle von unmittelbaren Informationen über uns selbst übersehen: unseren eigenen Körper und unsere eigenen Gefühle. Wir können uns von innen erkennen, insistierte er. Wir verfügen über ein direktes Wissen, das nicht von unseren Wahrnehmungen abhängt. Damit war er der erste Philosoph, der den Blick von innen auf Triebe und Emotionen richtete, und für den Rest seiner Laufbahn schrieb er ausführlich über innere menschliche Belange: Sex, Liebe, Tod, Träume, Leiden, Religion, Selbstmord, Beziehungen zu anderen, Eitelkeit, Selbstachtung. Mehr als jeder andere Philosoph beschäftigte er sich mit jenen dunklen Impulsen tief in unserem Innern, von denen wir nichts wissen wollen und die wir daher verdrängen müssen.«
    »Klingt ein bisschen nach Freud«, meinte Bonnie.
    »Umgekehrt. Es ist richtiger zu sagen, dass Freud Schopenhauerianer
war. Vieles an Freuds Psychologie ist bei Schopenhauer zu finden. Obwohl Freud dessen Einfluss selten einräumte, besteht kein Zweifel, dass er recht vertraut mit Schopenhauers Schriften war: Im Wien jener Jahre, in denen Freud zur Schule ging, in den 1860ern und 70ern, war der Name Schopenhauer in aller Munde. Ich glaube, ohne Schopenhauer hätte es keinen Freud geben können – und übrigens auch keinen Nietzsche, wie wir ihn kennen. Schopenhauers Einfluss auf Freud – insbesondere seine Theorie über Träume, das Unbewusste und den Mechanismus der Verdrängung – war das Thema meiner Doktorarbeit.«
    »Schopenhauer«, fuhr Philip nach einem raschen Blick auf Tony fort, von dem er nicht wieder unterbrochen werden wollte, »hat meine Sexualität normalisiert. Er hat mich erkennen lassen, wie allgegenwärtig Sex ist, dass er auf tiefster Ebene im Mittelpunkt allen Handelns steht, sich in jede menschliche Interaktion einschleicht, sogar die Geschäfte des Staates beeinflusst. Ich glaube, ich habe einige seiner Worte hierüber schon vor Monaten zitiert.«
    »Nur, um Ihr Argument zu unterstützen«, sagte Tony, »ich habe neulich in der Zeitung gelesen, dass mit Pornografie mehr Geld eingenommen wird als von der Musik- und Filmindustrie zusammen. Das ist eine Menge Kohle.«
    »Philip«, meinte Rebecca, »ich glaube, ich weiß, worauf Sie hinauswollen, aber ich habe immer noch nicht genau von Ihnen gehört, wie Ihnen Schopenhauer geholfen hat, sich von Ihrer sexuellen Zwanghaftigkeit oder . . . äh . . . Ihrer Sucht zu befreien. Ist es okay, wenn ich den Ausdruck benutze?«
    »Darüber muss ich nachdenken. Ich bin nicht davon überzeugt, dass er ganz präzise ist«, sagte Philip.
    »Warum nicht?«, fragte Rebecca. »Was Sie beschreiben, klingt für mich nach Sucht.«
    »Na ja, um das zu ergänzen, was Tony berichtete: Haben Sie mal gesehen, wie viele Männer sich im Internet Pornografie anschauen ?«

    »Stehen Sie auf Internet-Pornos?«, wollte Rebecca wissen.
    »Nein, aber den Weg hätte ich früher auch einschlagen können  – wie die Mehrzahl aller Männer.«
    »Da haben Sie Recht«, sagte Tony. »Ich gebe es zu, ich gucke zwei-, dreimal pro

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