Die schottische Braut
unterwerfen und seine aufgewühlte Seele zu beruhigen.
»Geht einfach!«, rief er. »Lasst mich in Ruhe.«
Callie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hatte nie einen Mann gesehen, der so sehr litt, und sie hatte keine Ahnung, weswegen. Er war so wütend, und - ehrlich gesagt - furchteinflößend, wenn er so war wie jetzt.
Ein Teil von ihr wollte ihn in die Arme schließen und fest an sich drücken, aber sie wagte es nicht. Dafür erinnerte er sie zu sehr an eine giftige Schlange, die bereit war, jederzeit anzugreifen. Nicht willens, ihn zu weit zu treiben, nickte sie nur. »Solltet Ihr mich brauchen, bin ich unten bei meinem Onkel zu finden.«
Sin hörte, wie sie die Tür hinter sich schloss. Er war so aufgebracht, dass er am liebsten etwas in Stücke gerissen hätte.
Am meisten aber wollte er, dass der Schmerz in seinem Herzen aufhörte. Er wollte nach unten gehen und seine Frau holen. Und mit ihr im warmen Licht ihrer Achtung und Zuneigung leben.
War das zu viel verlangt?
Vor seinem geistigen Auge sah er Draven mit seiner Frau und seinem Kind. Der Neid, den er empfand, war so stark, dass es fast wehtat. Ein warmer Herd und liebende Arme waren etwas, das er selbst nie haben konnte.
Wenn deine eigene Mutter deine Nähe nicht ertragen kann, wie soll ich das dann? Die zornigen Worte seiner Stiefmutter klangen ihm noch in den Ohren.
Sin fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und gab sich Mühe, die Erinnerungen zu vertreiben. Er wollte nicht an die Vergangenheit denken.
»Ich will nichts«, sagte er laut und voller Verbitterung.
Und das stimmte. Nicht Callie, nicht dieses Land. Nichts. Nur ...
Er schloss die Augen und versuchte sich wieder in den Kokon leerer Taubheit zu hüllen, in dem er so lange gelebt hatte. Da gab es keinen Schmerz. Keine Vergangenheit.
Da war einfach nichts.
Das war der einzige Trost, den ein Mann wie er sich erhoffen konnte. Aye, hier lag wenigstens ein schwacher Abglanz des Friedens, den die himmlische Berührung seiner Frau ihm schenkte. Und das war genug.
Aber tief im Innern wusste er es besser. Callie hatte ihn aus seinem Kokon gerissen, und er würde nie mehr derselbe sein.
Kapitel 10
C allie verbrachte den Nachmittag damit, mit ihrer Familie und alten Freunden Wiedersehen zu feiern, alles zu erfahren, was in den Monaten ihrer Abwesenheit geschehen war. Seana hatte einen kleinen Jungen bekommen, der Graham hieß. Susannah hatte ihren Verlobten geheiratet und war sich fast sicher, dass sie ein Kind erwartete. Morna hatte bei dem Brauer des Ortes Trost gesucht, während sie vor Sorge um Callie und Jamie fast außer sich war.
Und Dermot hatte sich in den letzten beiden Monaten drei Mal verliebt. Wenigstens behauptete Morna das. Callie wollte ihren Bruder deswegen fragen, aber er vereitelte ihren Plan, indem er ihr in seiner Verbitterung über Sin den ganzen Tag aus dem Weg ging.
Dennoch war es gut, sie alle wiederzusehen. Selbst Dermot, der sich wie eine stachelige Bürste aufführte, an der man sich unweigerlich piekste, wenn man ihr zu nahe kam.
Zum Glück war Tante Diera, die sie und Jamie hatten besuchen wollen, als Henrys Männer sie gefangen genommen hatten, wieder ganz von ihrem Sturz genesen.
Alle nahmen die Nachricht von ihrer Heirat erfreut zur Kenntnis, bis sie erfuhren, dass Sin ein englischer Lord war. Dann konnte sie sehen, wie die Freude aus ihren Mienen wich und in ihre Augen ein warnender oder sogar verächtlicher Ausdruck trat.
Begreiflicherweise litt Callies Stimmung darunter.
Das hier würde nicht einfach werden. Morna war die Einzige, die wenigstens versuchte, sich für sie zu freuen.
Jetzt saß Callie allein mit ihrer Stiefmutter in der Küche und knetete Brotteig, während sie erzählte, was in all den Wochen in London geschehen war.
Dabei war Mornas Miene sanft, und ihre Augen blickten verständnisvoll. »Ich weiß, es ist schwer, Liebes, aber was die anderen denken, ist nicht wichtig. Das ,was ihr beide, du und Sin, denkt, darauf kommt es an.«
»Warum bist du die Einzige, die ihn akzeptieren kann?«
Morna lächelte, während sie sich die Hände mit Mehl bestäubte. Ihr langes dunkles Haar war gefällig um ihren Kopf geschlungen, und über ihrem Unterkleid trug sie ein rot-grünes Plaid. »Weil ich einmal selbst in Sins Lage war. Als dein Papa und ich uns kennen lernten, wusste ich sofort, dass ich nie einen anderen Mann so lieben würde wie ihn. Er war meine ganze Welt, und ich wollte so sehr bei ihm sein, dass mein Herz weinte aus Furcht,
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