Die Schreckenskammer
das Licht zu treten, das ich so liebte, einfach indem sie nicht zuließ, dass ich in der süßen, unkomplizierten Dunkelheit versank, die nach Michels Verschwinden winkte. Im Licht zu leben erschien mir damals zu schwer; ich meinte, ich würde immer das Mal unaussprechlicher Schmach tragen, eins, das mich aus der Gemeinschaft jener ausschloss, die nicht ebenso entstellt waren.
Ich hatte mir eingeredet, dass Michels Verschwinden Folge eines Fehlers meinerseits gewesen sein musste, eines schrecklichen Versagens, und dass die Tragödie hätte abgewendet werden können, wäre ich nur wachsamer, aufmerksamer gewesen, eine bessere Mutter, ein Falke für meinen eben flügge werdenden Sohn. Zu glauben, es sei nur ein Zufall gewesen, dass Gott aus irgendeinem Grund Milord Gilles verschont und stattdessen seine Hand auf meinen Sohn gelegt hatte, war mir unerträglich, denn es nahm mir alle Hoffnung auf Sicherheit in dieser Welt. Viel tröstender war es, wenn ich mir sagte, es gäbe einen Grund dafür und meine mangelnde Wachsamkeit wäre dieser Grund. Schließlich suchen wir immer jemanden, dem wir die Schuld zuschieben können. Aber meine liebe Schwester in Gott gab mir zu verstehen, dass das, was Er in Bewegung setzt, nicht geändert werden kann, trotz unserer verzweifelten Bemühungen, Seinen Willen mit unseren guten Taten zu durchkreuzen. Im Lauf der Zeit ist es mir gelungen, mir bis zu einem gewissen Grad zu vergeben, aber das geschah mit grausamer Langsamkeit.
Meine Hand lag auf Madames Kopf; ich meinte beinahe, ebenjene Selbstvorwürfe durch ihre Haare zu spüren. Ich war entschlossen, für sie dasselbe zu tun, was man vor so vielen Jahren für mich getan hatte, waren wir doch nichts als zwei Glieder einer langen, ununterbrochenen Kette des Kummers. Ich saß da, während sie schlief, ihr Kopf schwer in meinem Schoß, und dachte an die Tage, da ich mein eigenes Leid noch immer frisch fühlte, auch wenn es für alle anderen bereits uralt zu sein schien.
Als sie sich schließlich rührte und den Kopf hob, war ihr Gesicht fleckig von Tränen, ihre Augen erbärmlich verquollen. Mit einem Zipfel ihrer Schürze wischte ich ihr den Rest der Feuchtigkeit weg. Sie starrte mich an, als ich das tat, und ihr Blick wollte wissen: Wird das je zu Ende sein? Ich hätte sehr gerne ja gesagt. Aber das wäre eine Lüge gewesen.
Sie erhob sich von der Bank und ging auf und ab. Ich sah ihr schweigend zu, obwohl es viele Dinge gab, die ich hätte sagen und fragen wollen. Als sie schließlich sprach, klang ihre Stimme brüchig, doch dies an sich beunruhigte mich nicht sonderlich, hatte es doch nach dem Tod meines Sohnes viele Monate gedauert, bis meine Stimme wieder über meine eigenen Ohren hinausdrang. Etienne forderte mich immer auf, lauter zu reden, manchmal sogar barscher, als es mir hilfreich erschien. Er schien dank der natürlichen Eigenschaften seines Geschlechts sich schneller zu erholen als ich, doch nach Michels Tod blieb ihm eine gewisse Härte. Ich schien sie nie ganz durchbrechen zu können, diese Rüstung, die Männer oft anlegen, um sich gegen tiefe Gefühle zu schützen, die sie behindern könnten bei den Aufgaben, die sie erledigen müssen, vor allem bei den unerfreulichen Pflichten des Krieges. Wie kann ein Mann trauern um den Krieger, dessen Kopf er abschlagen muss, und dennoch den blutigen Hieb führen? Das wäre unmöglich.
»Euer Sohn, wie war sein Name?«
»Michel«, antwortete ich. »La Drappière.«
Ich wartete, doch sie zeigte kein Anzeichen des Wiedererkennens. Nach einigen Augenblicken sagte ich: »Ihr erinnert Euch also nicht an mich?«
Sie schaute mir ins Gesicht. »Nein«, sagte sie. »Ich muss leider sagen, dass ich mich nicht erinnere. Kennen wir uns denn, Mutter?«
Natürlich hatten wir beide uns sehr verändert – dreizehn Jahre gehen an keinem spurlos vorüber, das ist die natürliche Ordnung der Dinge. Gott will nicht, dass wir noch so reizvoll sind wie jüngere Witwen, die nach wie vor Kinder gebären können und ersten Anspruch auf die Männer haben, die aus den Kriegen zurückkehren. »Wir sind uns hin und wieder begegnet, als mein Gatte in Champtocé diente, und ich mit ihm«, sagte ich ihr.
Obwohl meine Finger steif waren von Madame le Barbiers festem Griff, fasste ich nach meinem Schleier und nahm ihn ab. Ich legte ihn auf Madames Tisch und strich mir ein paar widerspenstige Haare glatt.
Sie schaute mich an, und langsam dämmerte die Erkenntnis.
»Madame la Drappière«, hauchte sie.
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