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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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griff wieder nach dem Strickzeug. Dann
nickte sie zu dem zweiten Stuhl im Zimmer zum Zeichen, daß
ich mich doch setzen könne, wenn ich nun schon vorbeigekommen war.
Ich sah zu dem anderen Bett. Es war leer und ungemacht.
Sie folgte meinem Blick. »Martha Lovise Bredesen. Sie ist vor
zwei Tagen gestorben. Sie erwarten morgen jemand Neues.« Sie
nahm ein paar Maschen ab und murmelte, wie zu sich selbst:
»Ach ja, dann haben die ihre Ruhe –«
Klares, helles Tageslicht erfüllte das Zimmer. An der Wand
über Kathrine Hauganes Bett hingen ein paar Familienfotos. Auf
einem davon saß eine Frau mit zwei kleinen Kindern vor der
gemauerten Wand von etwas, das einer dieser typischen
Jærenhofe sein mochte, in so starkem Sonnenschein, daß es zur
Mittsommerzeit gewesen sein mußte.
Ich nickte zu dem Bild. »Seid ihr das?«
Sie sah fast schüchtern hin. »Ja, das … das war im Sommer, es
muß wohl um 1950 herum gewesen sein. Wir waren auf
Nærbø.«
»Birger ist der ältere von euch«, stellte ich fest.
»Ja, das – daran war wohl nie ein Zweifel.«
»Sie sind verheiratet, stimmt’s?«
»Ja, das stimmt.«
»Haben Sie auch Bjelland geheißen, bevor Sie geheiratet
haben?«
»Nein, ich habe immer Haugane geheißen.«
Ich sah durch das Fenster zu den Inseln auf der anderen Seite
des Fjords. »Aber … habt ihr denn verschiedene Väter?«
Sie preßte die Lippen zusammen und nickte.
»Und Birgers Vater – hieß der Bjelland?«
»Nein, das …« Sie sah zu ihrer Mutter, die mit geschlossenen
Augen und zitternden Lidern dalag, als träumte sie – oder als
täte sie nur so, als ob sie schliefe.
Laura Nielsen dämpfte die Stimme. »Birger wurde im Dezember 1945 geboren. Niemand hat jemals erfahren, wer der Vater
war, aber es gab wohl Gerüchte, natürlich, und für die Leute war
es dann schließlich so, daß der Vater, ja – Deutscher war, wissen
Sie?« Ihr Gesicht bekam einen bitteren Zug, als sie daran
zurückdachte. »Mutter arbeitete als Serviererin in einem Café
damals, und da traf sie natürlich sowohl feine Leute als auch
andere. Also hätte es ja genausogut einer der Bessergestellten
der Stadt gewesen sein können, wenn man es genau nimmt,
oder?«
Ich nickte aufmunternd. »Doch, natürlich.«
»Und als Birger dann fast erwachsen war und Himmel und
Hölle in Bewegung setzte, um herauszufinden, wer sein Vater
wirklich war, da hätte es genausogut einer sein können wie der,
den er sich dann ausgesucht hat. Und der war ja schon tot, also
wer sollte es abstreiten?«
»Nein, d …«
»Eins kann ich Ihnen sagen, Birger und ich – wir wurden beide
getriezt in der Schule wegen dem Ganzen. Aber Birger am
meisten. Sie liefen hinter ihm her und riefen Deutschenbalg!
Deutschenbalg! Manchmal kam er blutend nach Hause, weil er
sich geprügelt hatte. Und es hörte nie auf. Kein Wunder, daß er,
sobald er nur konnte, die Stadt verlassen hat. Stavanger ist ein
Dorf, daß Sie es nur wissen!«
»Na, Bergen ist nun auch nicht gerade eine Großstadt.«
»Nein, aber da kannte ihn wenigstens niemand!«
Ich hieß sie mit einer Handbewegung innehalten und nickte zu
ihrer Mutter hin. Kathrine Haugane hatte plötzlich die Augen
geöffnet. Sie starrte mit strengem Blick an die Decke. »Birger!
Laß das! Roger! Oh, nein …« Dann klappten die Lider wie
durch einen verborgenen Mechanismus wieder herunter.
Ich sah Laura Nielsen an.
Sie zuckte mit den Schultern. »Das ist einer ihrer Standardsätze. Eine von den Szenen, die immer wiederkommen. Natürlich
irgendeiner von Birgers Dummejungenstreichen, die sie immer
und immer wieder erlebt.«
»Haben Sie eine Ahnung, welcher?«
»Keinen Schimmer!«
»Aber, was hat sie gesagt … Roger?«
»Roger … Das war damals ein Freund von Birger. Ich denke,
die beiden Lausejungs haben zusammen irgendwas ausgefressen.«
»Roger … Und weiter?«
»Mmh … Hansen, meine ich. Er ist seit vielen Jahren tot.«
»Tja …« Ich wollte sie nicht weiter drängen. Wahrscheinlich
war es auch nicht wichtig. »Aber nachdem Birger geboren
wurde … Wie war da ihr Leben?«
»Wie das einer Ausgestoßenen. Auch wenn der Vater kein
Deutscher gewesen wäre, das Kind war immerhin unehelich,
und in Stavanger, zu der Zeit – das war fast genauso schlimm!
Sie lebte halt von der Fürsorge, wohnte eine Weile in verschiedenen christlichen Mütterheimen. Da waren sie sicher nett, aber
die Regeln waren zum Heulen für eine Frau, die schließlich erst
in den Dreißigern war!«
»Aber, als Sie geboren wurden –«
»Na ja, da … da

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