Die Schrift an der Wand
hatte sie da unten in Nærbø eine Stelle bekommen, auf einem Bauernhof, und dann traf sie da einen
Seemann aus der Gegend: Ja, er machte ihr ein Kind und ging
auf große Fahrt und kam erst zwei Jahre später wieder. Und wie
konnte er wissen, ob ihr Kind wirklich auch seins war? Also
ging sie wieder nach Stavanger, und seitdem wohnen wir hier.«
Sie seufzte. »Aber ich beklag mich nicht. Ich habe einen guten
Mann bekommen und komme zurecht. Die Zeit arbeitet für uns.
Bald erinnert sich niemand mehr an Kathrine Haugane oder an
ihren deutschen Bastard. Sie können also Birger grüßen und ihm
sagen, es sei nur gut, daß er sich nicht blicken läßt! Hier vermißt
ihn keiner!«
»Birger? Bist du das, Birger?« Die Mutter hatte sich plötzlich
im Bett aufgesetzt.
»Nein, Mutter«, sagte Laura Nielsen. »Das ist nicht Birger, das
siehst du doch!« Sie sah mich entschuldigend an. »So ist es
jedes Mal, wenn sie eine Männerstimme hört. Es ist dasselbe,
wenn Ove mitkommt. Sie vergißt ihn jedenfalls nicht!«
Kathrine Haugane sah in meine Richtung mit ihren hellblauen,
wäßrigen Augen. Irgendwie schien sie völlig durch mich
hindurchzusehen. »Birger! Ich habe nichts gesagt! Zu niemandem! Du warst den ganzen Tag zu Hause! Den ganzen Tag,
hörst du, Birger?«
»Ja ja, Mutter!« Die Tochter verdrehte die Augen. »Immer
wieder die gleiche Leier! – Leg dich jetzt hin und ruh dich aus,
Mutter!« Fast mit Gewalt legte sie die Mutter wieder auf das
Bett zurück und seufzte zufrieden, als sich die verzweifelten
Augen wieder schlossen.
Sie sah zum Nachbarbett. »Wenn sie nur endlich auch Frieden
fände. – Ja, so was sollte man seiner eigenen Mutter vielleicht
nicht wünschen, aber manchmal … Gott vergib mir, ist das ein
unchristlicher Gedanke?«
»Nein, unchristlich … Aber das muß doch etwas – das muß
doch etwas ziemlich Wichtiges gewesen sein, wenn es so tiefe
Spuren bei ihr hinterlassen hat?«
»Ja, was weiß denn ich, was sie da brabbelt!« Sie beugte sich
vor und packte die Bettdecke fest um den Hals der Mutter, die
aussah, als habe sie sich wieder völlig beruhigt. »Und jetzt
können Sie ruhig wieder nach Bergen hochfahren und Birger
erzählen, wie’s uns hier geht! Falls es ihn interessieren sollte.«
»Ja, Birger … Wissen Sie, was er macht, in Bergen?«
Sie sah mich fragend an. »Ob ich … Geschäfte, oder nicht?«
»Aber was für welche?«
»Nein, das … Ich weiß nicht mehr über ihn als … Er ist der
Inneren Mission beigetreten, meine ich!«
»Finden Sie das wahrscheinlich?«
»Ja, stellen Sie sich vor, das finde ich. Ich kann Ihnen jedenfalls sagen, daß Mutter, als sie von Nærbø und der zweiten
großen Enttäuschung – jedenfalls von der ich weiß – ihres
Lebens nach Stavanger zurückkam, da wurde sie bekehrt.«
Sarkastisch fügte sie hinzu: »Es war wohl eher ein fahrender
Prediger, der seine Maria Magdalena in ihr sah, fürchte ich, aber
auf jeden Fall wurde sie bekehrt, so total, daß Birger und ich
von sechs Jahren an bis weit in die Teenagerzeit mehr im
Bethaus waren als zu Hause. Ja, Birger sogar, bis er zum Militär
ging. Ich bin früher ausgebrochen, aber da war auch bei Mutter
langsam die Luft raus, und es war kein großer Akt mehr.«
Ich sah auf die Uhr und stand auf. »Tja, dann werd ich wohl
nicht weiter stören.«
»Das war doch kein Stören! Im Gegenteil, es war eine Abwechslung. Trotz aller bitteren Worte müssen Sie Birger grüßen,
wenn Sie ihn sehen.«
Nicht ganz ohne schlechtes Gewissen sagte ich, daß ich das
tun würde, bevor ich Mutter und Tochter in einer Art stummer
Symbiose zurückließ, die eine mit geschlossenen Augen im Bett
liegend, die andere den leeren Blick auf das Nachbarbett und die
Hoffnung, die es für sie darstellte, gerichtet.
Draußen im Flur hielt ich eine Schwester an, die mit einer
Bettpfanne in der Hand vorbeilief. »Entschuldigung, aber … Ich
habe hier vorhin mit einer Schwester geredet, klein und dunkelhaarig–«
»Trude Litlabø?«
»Ja, ich weiß nicht …«
»Versuchen Sie es im Schwesternzimmer.« Sie zeigte auf eine
Tür fast am Ende des Korridors.
Ich ging und sah hinein.
Trude Litlabø sah von einem PC-Monitor auf, als ich an den
Türrahmen klopfte. »Oh, hallo! Alles in Ordnung bei Kathrine?«
»Tja, in Ordnung ist gut. Ich habe mich jedenfalls nett mit
ihrer Tochter unterhalten. Ist sie immer so weggetreten, ich
meine – die Mutter?«
»Ja, leider. Ihr Zustand ist, als wäre sie in ein Zimmer gegangen, dessen Schlüssel
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