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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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anzuziehen. Er schaute nach, ob die Porzellanknöpfe der Weste richtig saßen – ekelhaft, wenn man einen verliert. Sie passten. Nun gut, vorwärts denn! – Das kleine Mäuschen in Pest wäre bestimmt nicht teuer, und eine Liebschaft dieser Art ist auch besser als ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau. Im Ausland – das war etwas anderes.
    Insbesondere, wenn man Diplomat ist. Der Bruch ist in diesem Fall grundsätzlich vorbestimmt, da man doch allgemein weiß, dass die Diplomaten von höheren Mächten versetzt werden; der Bruch gilt daher sozusagen als eine staatliche Institution. Er kannte denn auch keine Verwicklungen mit verheirateten Frauen, deren Gunst er auf den verschiedenen Auslandsposten gewonnen hatte (wie man zu sagen pflegt). Einige Tränen beim Scheiden, zum Abschied eine ausgiebige Liebesnacht (damit er die Frau gut in Erinnerung behalten sollte), und dann einige kurze Briefe oder eine Postkarte aus einer anderen Hauptstadt. Die Annäherung, die Vorarbeit, gewiss, war schön und spannend, die eine oder zwei Wochen dauernde Jagd. Doch da auch das Wild gefangen werden will, ist der Ausgang in Wirklichkeit sicher, sofern man keinen Fehler begeht. Dergleichen aber unterlief ihm in den letzten Jahren nicht mehr. Die Diplomatie ist am Ende doch eine gute Schule.

    Bevor er die weiße Weste anzog, ging er zurück zum Spiegel. Er beugte sich vor, um die Hemdbrust nicht zu beflecken, und begoss den Kopf mit Haarwasser. Dann legte er mit der Bürste die letzte Hand an. Ja, am besten wird es sein, gleich nach der Einberufung des Parlaments die kleine Blonde aufzusuchen und sich mit ihr zu einigen. Gewiss ist sie die Mätresse irgendeines alten Galans, neben ihm könnte er billig als Dritter im Bunde mittun.

    Es heißt, der König werde Mitte März anreisen, um die Krise in Ungarn zu lösen. Ob er das wohl fertigbringt? Kaum anzunehmen. Die Stimmung ist voller Leidenschaften. Ohne militärpolitische Zugeständnisse wird nichts zu machen sein. Von denen aber, dies wusste er, da Slawata bei der Fasanenjagd Klartext gesprochen hatte, wollte der Thronfolger nicht einmal hören. Inzwischen wird im Ausland überall gerüstet. Was wird aus uns, wenn wir uns verspäten?

    Er zog den Frack an und nahm all die Siebensachen zu sich, die ein Mann in seinen Taschen zu schleppen pflegt: Uhr, Schlüssel, Zigarettenetui, Geldbörse, Feuerzeug, Kleingeld. Dazu vier Taschentücher, die er mit Kölnischwasser begoss. Eine seiner ausländischen Geliebten hatte ihm das beigebracht: »Ein Mann soll einzig Kölnischwasser gebrauchen, kein Parfum. Jeder andere Duftstoff ist weibisch.« Sie war lieb, diese Schwedin, er war tief in ihrer Schuld. Sie hatte ihm die hohe Schule der Liebeskunst beigebracht, die antiken Traditionen der Liebe und alle Einzelheiten, wie man sich an- und auszog, sie erteilte ihm Unterricht in der Sittenlehre des Bettes. – Lieb war sie. Wie hieß sie bloß? Sie hatte ein gutes Urteil auch in anderen Fragen. Sie sagte voraus, dass es in Russland infolge des Kriegs gegen Japan zur Revolution kommen werde. Und nun beginnt sie tatsächlich. Großherzog Sergius ist letzte Woche umgebracht worden. Attentate überall. Ein Glück für uns. Jetzt, da in Kreta ein Aufstand im Gange ist, Mazedonien von Wirren heimgesucht wird und Russland für längere Zeit gelähmt bleibt, ist es vielleicht halb so schlimm, wenn bei uns die Entwicklung der Armee stockt …
    Nun war er fertig.
    Er blickte um sich, ob er nichts vergessen habe, dann ging er hinüber zur Mutter.

V.
    Der Ball am Faschingsdienstag galt damals in Klausenburg als ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis. Gemäß einer alten Tradition wurde er immer im Casino veranstaltet. Manche Herren bewahrten nach wie vor einen wohl aus den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts stammenden Brauch; demnach gehörte es sich, an diesem Abend brombeerblauen Frack und graue Beinkleider zu tragen. Eine Besonderheit sodann, dass man hier zwei Nächte durchtanzte, die Nacht von Dienstag und die Aschermittwochnacht.
    Am Dienstagabend zeigten sich selbst die ältesten Damen. Es war ein richtiges Fest. Alle präsentierten sich in großer Aufmachung, die Frauen mit diamantenbesetztem Stirnreif oder anderen alten Schmuckstücken, Ohrgehängen und Armspangen; ein prächtiger Aufzug, als ginge es zum Hof.
    Schon kurz nach zehn Uhr waren viele da, und immer mehr Menschen stellten sich ein. Eine Kutsche nach der anderen fuhr unterhalb des Tors eilig vor. Auch Adrienne kam jetzt

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