Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
zuwandte, heftete sie ihre gelben Bernsteinaugen auf Tante Lizinka, und erhobenen Hauptes lächelte sie ihr zu. Ihre triumphierende Jugend schaute auf das kleine, zusammengeschrumpfte Alter hinab.

    Bálint hatte sich von der Mutter spät verabschiedet, und so kam er beim Ball erst zu vorgerückter Stunde an. Man hatte schon die zweite Quadrille hinter sich und tanzte gerade den letzten Walzer vor dem Diner. Er schaute in den Saal, schlüpfte durch die Reihe der Herren, die vor dem Eingang standen, küsste den näher sitzenden alten Damen die Hand, dann warf er noch einen Blick in den Raum – Adrienne drehte sich eben mit Pityu Kendy –, und da ihn die Tanzenden fortwährend anstießen, ging er hinüber in den Kamin-Saal, wo einige ältere Herren auf das herannahende Nachtmahl warteten. Natürlich politisierten sie. Den Ankömmling begrüßten sie freudig, denn jeder erwartete von ihm die Bestätigung der eigenen Voraussage. Er wurde vorab gleich von Istike Kamuthy und Abonyi bestürmt, er möge entscheiden, wer von ihnen beiden recht habe. Abonyi behauptete nämlich, dass – »bitte sehr« – nur eine Regierung Andrássy in Frage komme – denn er hielt diese Ansicht für eleganter –, während der kleine Kamuthy eine solche Meinung für Landesverrat erklärte und einen jeden für einen Landesverräter, der jetzt keine Personalunion fordere. Seine dicklichen, säuglingshaften Wangen hatten sich in der Diskussion vor Aufregung schon ganz gerötet.
    »Ganz gewiff, ganz gewiff, wir akzeptieren nur die Perfonalunion!«, verkündete er lauthals, als hinge auch nur das Geringste von ihm ab. Er gab sich jetzt viel selbstbewusster als einige Monate zuvor, denn er war in einem Kreis von Háromszék als Kandidat aufgetreten, und nur wenige Stimmen hatten zu seiner Wahl gefehlt.

    »Warum eigentlich sind Sie damals nicht zum Eisplatz gekommen?«, fragte Adrienne.
    Sie hatte mit der Frage bestimmt absichtlich zugewartet, bis sie zu zweit bleiben würden. Zuvor hatten sie ja mehrmals zusammen Walzer getanzt, sich auch am Buffettisch einige Male getroffen, und beim Nachtmahl war sie an einem der Tische der jungen Frauen ihm gegenübergesessen, sie hätte ihn schon früher fragen können. Doch sie stellte die Frage erst jetzt, nach Beginn des Csárdás, der auf das Souper folgte, nachdem sich alle anderen zum Tanz begeben und die Diener Teller und Gläser abgeräumt hatten. Sie erkundigte sich nicht zürnend, nicht gekränkt, sondern mit dem gleichen strahlenden Lächeln, welches kurz zuvor auch die – gewiss als Flirt geführte – Unterhaltung mit ihren Tischnachbarn, Ádám Alvinczy und Pityu Kendy, begleitet hatte. Es war das gleiche Lächeln, freilich ein wenig spöttisch, ein wenig herausfordernd; mehr Gewicht bekam ihre Frage einzig dadurch, dass sie damit so lange zugewartet hatte.
    »Damals am Nachmittag?«
    »Ja. Sie sind nicht gekommen, dabei bin ich lange geblieben, fast wäre ich Ihretwegen zu spät nach Hause gekommen. Und Sie sind ausgeblieben.«
    Sie lächelte immer noch, aber ihre Augen sahen ihn ernst an, wie Löwinnen zu blicken pflegen.
    »Ich war dort«, antwortete Bálint ganz leise und beugte sich vor, nahe an die onyxgelben Augen.
    »Sie waren dort? Ja, warum dann …?«
    »Warum? … Ich habe Ihnen lange zugeschaut, und Sie waren ungewöhnlich und anders … und neu. Ich schaute vom Eingang her zu. Das war eine andere, nicht meine Addy, nicht jene, die ich gekannt hatte, eine andere …«
    »Wieso eine andere? Nicht ich? Wirklich?«, sagte die Frau, und ihre vollen Lippen versuchten nun trotz Bálints ernstem Ton zu lachen.
    »Eine andere. Und dann waren … die zwei mit Ihnen … und so blieb ich im Dunkeln, lehnte mich an das Geländer, schaute Ihnen nur zu, und Sie waren schön.« Dann fügte er, um die Banalität des Kompliments zu verwischen, hinzu: »Es war schön, Sie zu sehen. Ich empfand manches, vieles, ja, vieles, das ich bestimmt früher schon gehegt, aber so lebendig, so laut in mir selbst noch nie gehört hatte, und auch Sie hatte ich noch nie so gesehen …«
    »Beim Schlittschuhlaufen?«
    »Vielleicht lag es auch am Schlittschuhlaufen. Doch wie wenn ich tief drinnen, zutiefst, hinter der Form, dem Schwung und dem Gleiten, wie wenn ich die mächtigen Kräfte der Natur gesehen hätte damals, als Sie so hin- und herflogen«, und mit der Hand machte er eine schwirrende Bewegung – »etwas Tragendes, Treibendes, etwas, das voller Verlangen sucht …«, und er blickte der Frau erneut starr

Weitere Kostenlose Bücher