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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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nahm, nachdem er das Tor hinter sich hatte, eine ganze andere Richtung. Er strebte eilig dem Hauptplatz zu. In dem Augenblick, da Tihamér erklärt hatte, dass das Duell an diesem Nachmittag nicht mehr stattfinden könne, war in ihm der Plan mit der Schnelligkeit eines Funkens aufgeblitzt: Er wird Adrienne aufsuchen! Ihr Mann hielt sich hier im Casino auf, die Schwiegermutter in Meran, sollte er jetzt gleich hingehen, so bestand beinahe Gewissheit, dass er sie allein und zu Hause finden würde. Ihre Krankheit hatte sie ja nur vorgetäuscht – davon war er überzeugt –, umso wahrscheinlicher, dass sie nicht ausging. Beim Vortäuschen neigt jedermann dazu, ein wenig zu übertreiben. Sicher hatte sie auch von dieser dummen Duellgeschichte erfahren, wo doch die ganze Stadt darüber klatschte. Das war eine gute, eine ausgezeichnete Gelegenheit. Sie mochte seinetwegen doch bekümmert sein. Vom Tod des Grafen Keglevich, über den jede Zeitung ausführlich berichtet hatte, wird sie gewiss gelesen haben. Das würde der Sache erst recht einen düsteren Hintergrund verleihen, einen romantischen Hintergrund. Das traf sich gut, das musste man nutzen. Mein Duell beschert mir Glück, dachte er und lachte fröhlich für sich.
    Auf dem Hauptplatz trat er neben eine Mietkutsche. »Schnell zur Uzdy-Villa auf der Monostori-Straße«, befahl er dem Fiaker und setzte sich in den Wagen.
    Die Aufregung des Jägers überkam ihn in der Droschke. Er legte sich seinen Schlachtplan zurecht. Vom Duell natürlich kein Wort, nur eine versteckte, aber unmissverständliche Anspielung. Das Ziel: So weit kommen, dass er sie, und sei es nur einmal, würde küssen können. Bis zum ersten Kuss zu kommen, das ist immer am schwersten. Das Weitere fällt schon viel, um so viel leichter. Dazu dient die drohende Gefahr vorzüglich, sie würde ihm, auf den der Tod lauert, einen einzigen Kuss nicht verwehren. So herzlos darf sie nicht sein! Und kämen sie erst einmal so weit, dass sie sich geküsst hätten, dann wäre das Eis gebrochen, er würde mehr und mehr verlangen können, immer mehr, und dann … dann würde sie ihm bald alles gewähren. Eine berauschende Freude überflutete ihn, doch rasch verscheuchte er jede Vorstellung, die, wenn auch nur leise geweckt, sein Herz bereits höher schlagen ließ, denn er wollte nüchtern, zielbewusst und berechnend bleiben.
    Die Droschke blieb stehen, er bezahlte und schickte sie weg.
    Die verschlossenen Fensterflügel am Hauptgebäude meldeten, dass dort zurzeit niemand wohnte. Er folgte den Fußabdrücken im Schnee, ging um die Villa herum, und auf dem säulengestützten Flur erblickte er das Stubenmädchen.
    »Ist Gräfin Adrienne zu Hause?«, fragte er sie.
    »Ja, bitte, aber sie empfängt nicht. Sie ist noch nicht ganz wohl«, gab sie zur Antwort.
    Bálint entnahm seiner Brieftasche eine Visitenkarte. Er schrieb darauf einige Worte. Nur so viel: »Möglich, dass ich morgen früh für längere Zeit verreise. Bitte empfangen Sie mich.«
    Er übergab Jolán die Karte.
    »Bringen Sie ihr bitte trotzdem diese Visitenkarte. Ich warte hier auf die Antwort.«
    Das Dienstmädchen verschwand im Haus. Er blieb draußen. Einige Minuten vergingen. Sie schienen eine Ewigkeit zu dauern. Dabei rief ihn das Mädchen schon nach kurzer Weile herein.
    »Bitte!«, sagte sie.
    Sie schritten den verglasten Korridor entlang, und eine Türe ging vor ihm auf. Er trat ein. Er befand sich in Adriennes Salon. Es war ein acht mal sieben Meter großer Raum, in den durch drei Fensteröffnungen auf der rechten Seite winterliches Dämmerlicht fiel. Weiße Wände, von denen das eine oder andere Familienporträt mit nichtssagendem Lächeln herabblickte. Steife Spätempire-Möbel, von denen es in Siebenbürgen so viele gab. Ungewöhnlich wirkte nur eines: der riesige, in die gegenüberliegende Wand tief eingelassene Kamin, dessen Schlund zwischen den grob gemeißelten Steinpfeilern zumindest ein Klafter Holz fasste. Er war als Zubehör der einstigen Küche hiergeblieben, aus Zeiten, in denen man über dem Feuer am Spieß noch ein ganzes Kalb gebraten hatte. An einem Pfeiler war der Einschnitt des Spießes, der beim Drehen den Kalkstein ausgehöhlt hatte, immer noch sichtbar. Das Zimmer war im Übrigen ganz banal. Einzig auf dem Boden vor dem Kamin gab es Unerwartetes: Es lagen dort viele große, dicke, mit verschiedenen roten Seidenstoffen bezogene Kissen. Darunter eine weiße, flaumige Schafwolldecke feiner Art. Eines der Kissen war in der Mitte

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