Die Schrift in Flammen
Raumes verschwunden, war in ihm jetzt neu erwacht; jetzt erstand es zu neuem Leben und sprach mit zielgerichtetem Eroberungswillen.
Den Abend verbrachte Bálint mit seiner Mutter. Er suchte sie zu unterhalten und mit Scherzen zum Lachen zu bringen. Irgendwie gelang dies nicht. Er war zerstreut, nicht in Form. Sein Duell am nächsten Tag hatte damit nichts zu tun, daran erinnerte er sich erst, als er sich zur Nachtruhe zurückzog und die Anordnung gab, ihn sehr zeitig zu wecken. Vielmehr ging ihm der Nachmittag durch den Sinn, die Stunde, die er mit Adrienne verbracht hatte, und vor allem deren Ausklang, Adriennes Stimme, wie sie »auch ich liebe Sie« gesagt hatte. Und wie sie danach lange wortlos einander gegenübergesessen waren, und zuletzt der Kuss, der einzige, jener kleinmädchenhafte, unerfahrene Kuss.
Denn das war überraschend. Diese lebenslustig herausfordernde Frau, die er damals auf dem Eis zwischen zwei Männern gesehen hatte, wie sie hin und her, aus den Armen des einen in die des anderen flog, sie, die er unlängst beim Nachtmahl am Faschingsdienstag-Ball beobachtet hatte – sie hielt, bevor er mit ihr allein blieb, mit ihrem begehrenswerten Mund und den blinkenden Zähnen Alvinczy und Pityu verführerisch zum Narren –, die Frau, die am Mittwoch nicht gekommen, von der er im Stich gelassen worden war, sodass er annahm, sie spiele berechnend auch mit ihm, sie sei wohlerfahren und schlau, diese Frau, seit zweieinhalb Jahren verheiratet, küsste so, mit zusammengepressten Lippen. Wie ein Siegel, dachte er, so drückte sie ihren Mund auf den seinen; das war unerwartet, da stimmte etwas nicht.
Er sah sie jetzt wieder vor sich, wie sie sich ihm langsam, mit geschlossenen Augen, entgegenbeugte, als täte sie etwas äußerst Unangenehmes, als brächte sie ein Opfer aus Güte; denn sie hatte ihm gestanden, dass sie ihn liebe, und so brachte sie es nun nicht mehr über sich, ihm den Wunsch abzuschlagen. Oder war dieser Kuss vielleicht nur darum so ungeschickt geraten, weil sie beide so steif einander gegenübersaßen und er sie bei der Annäherung nicht richtig umarmen konnte? Aber Adrienne war doch mit ihm zusammen aufgestanden, und ihre Lippen blieben trotzdem hart geschlossen, ja, sie stieß ihn sogar mit einer flehenden Geste von sich. Hätte er sie vielleicht da stärker anfassen und ihre Lippen gewaltsam auseinanderschieben sollen? Nein, das hätte er nicht über sich gebracht. Irgendwie schien das unmöglich, irgendwie fand er sich auch mit den eigenen Gefühlen nicht zurecht. All dies war auf diese Weise schön, war wunderbar. Mag sein, dass er eine Dummheit beging, als er sich so knabenhaft mutlos verhielt, aber … nein, anders hätte er sich nicht benehmen können, und es war ihm gar nie eingefallen, dass es ihm möglich gewesen wäre, das zu tun.
Dies wälzte er den ganzen Abend im Kopf herum. Unter solchen Gedanken hin- und hergerissen, legte er sich zu Bett. All die schlauen Finten und zielgerichteten Pläne verwischten sich in seinem nachgebenden Bewusstsein, als ihn der Schlaf langsam übermannte, und am Ende blieb nichts anderes als ein Glücksgefühl und eine gewisse Verwunderung, als ob er anstelle einer liebeskundigen Frau einem halbwüchsigen Mädchen begegnet wäre …
IX.
Er erhob sich früh. Nachdem er sich rasiert hatte, blieb er noch vor dem Spiegel sitzen. Ein Säbelduell, darauf bereitete er sich jetzt vor. Wird man ihn wohl verwunden? Und wo? Vielleicht da, auf der Stirn? Das wäre kein Unglück, es stünde ihm womöglich gut. Oder an der Wange, an der Nase? Das wäre abscheulich. Er entsann sich eines Studenten, den er in Berlin gesehen hatte; dessen Backenknochen war mit dem Nasenflügel durch einen Fleischwulst verbunden. Entsetzlich, das anzuschauen. Ein Hieb auf den Arm oder die Brust? Das wäre egal, so etwas kann man ja nähen. Aber auf die Hand? Nein, das wollte er schon lieber vermeiden. Es wäre schade. Er musterte seine Rechte. Ja, es wäre schade und hässlich, wenn eine Narbe die Haut verfärben und die bläulichen Linien des Adergeflechts zerstören würde. Ärgerlich wäre das.
Er kleidete sich unter solchen Gedanken an, und er stand längst bereit, hatte auch schon gefrühstückt, als Tihamér Abonyi in schwarzem Gehrock und mit glänzendem Zylinder erschien, um ihn abzuholen. Unten auf der Straße schloss sich ihnen Baron Gazsi an. Sie setzten sich in den geschlossenen Fiaker und fuhren hinaus zur Turnierfechthalle, einem langgezogenen, wie eine Baracke
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