Die Schrift in Flammen
quollen nicht infolge der »Zerstörung der Gewebekontinuität«.
»Kampfunfähigkeit?«, fragte Bogácsy streng.
»Absolut! Unbedingt«, antworteten die zwei Ärzte gleichzeitig und vermeldeten dann abwechselnd: »Schnitt in der Nähe der Schlagader …«
»Der wichtigste Armmuskel, der Handbeuger …«
»… kann zur Verblutung führen …«
»… zu Wundstarrkrampf und plötzlicher Lähmung …«
»… sodass jede heftige Bewegung …«
»… jede Beanspruchung des Arms …«
»… fatale Folgen zeitigen kann …«
»… fatale, ganz gewiss …!«
Der Major in Ruhestand schlug die Hacken zusammen. »Hiermit stelle ich also beiderseits Kampfunfähigkeit fest«, und nun grüßte er militärisch mit dem Säbel.
»Meine Herren, der Ehre ist Genüge getan!«
Während der Arzt ein ansehnliches englisches Pflaster auf das obere Ende von Bálints Unterarm klebte, stellte Tihamér flüsternd die Frage: »Willst du dich aussöhnen, bitt’ sehr?«
»Aber natürlich«, antwortete Abády gutgelaunt. »Servus, Pityu!«, und als sie sich die Hand gaben, fügte er hinzu: »Denn eigentlich weiß ich ja nicht einmal, warum wir uns geschlagen haben!«
Das hätte er nicht sagen sollen. Die Sekundanten verzogen beleidigt ihre Visagen und gaben vor, nichts gehört zu haben, denn dies bedeutete eine Herabsetzung ihrer ganzen wichtigen Tätigkeit, wofür jetzt im Grunde sie selber hätten Genugtuung fordern müssen. Einzig Baron Gazsi drehte sich schnell weg, weil er es nicht fertigbrachte, sich das Lachen zu verbeißen. Trotzdem schüttelten sich nun kreuz und quer alle die Hand, und nachdem sich die Duellanten wieder angekleidet hatten, machten sie sich gemeinsam auf den Weg in die Innenstadt.
»Lasst uns irgendwo zu einer kleinen Zehnuhrjause einkehren«, schlug Bogácsy vor, der es liebte, seine Rolle als Hauptsekundant möglichst lang auszudehnen. Bálint ging das gegen den Strich, er hatte gar keine Lust, mit Wickwitz, »diesem Dreckskerl«, länger als gerade nötig beisammenzubleiben. Er konnte indessen keinen Widerspruch anmelden, und so nahmen sie den Weg zu einem der Cafés auf dem Hauptplatz. Bevor sie aber dort anlangten, trennte sich Baron Egon von ihnen. »Die Herren« (so sagte er, wie beim Militär üblich) »möchten mir verzeihen, aber ich muss eine wichtige Angelegenheit erledigen.« Er salutierte, und rasch, damit er keine Erklärung zu geben brauchte, machte er kehrt.
Er eilte zurück, denn auf dem Hinweg war Zoltánka Milóth an ihm vorbeigehuscht und hatte seinen Arm berührt. Wickwitz benutzte Judiths kleinen Bruder schon seit Wochen als Spion. Ein Päckchen Zigaretten gebührte ihm jeweils für seine Dienste.
Zoltánka teilte ihm für diesen Preis mit, wohin seine Schwestern Ausflüge unternehmen wollten, wo sie spazieren und das Nachtessen einnehmen würden und was sie für den nächsten Tag planten. Er leistete sehr gute Dienste und tat dies auch mit großer Hingabe, dies nicht nur um der verbotenen Zigaretten willen, sondern auch darum, weil es ihn stolz machte, an den Angelegenheiten der »Großen« Anteil zu haben, und weil er Wickwitz, diesen Offizier von athletischem Wuchs, sehr bewunderte.
Als sich die Gesellschaft an den Marmortisch setzte, Bier, Wiener Wurst und warme Pasteten bestellte, war Wickwitz mit dem kleinen Gymnasiasten schon fernab unterwegs.
Das Haus der Milóths in der Innenstadt war einer der Bauten, die, auf einem langen, schmalen Grundstück erstellt, auf zwei Seiten hinausgingen, die Fassade auf die Union-Straße und der hintere Eingang auf eine der engen Gassen des Altfestungs-Quartiers. Wickwitz schritt hier, in den menschenleeren Gassen, auf und ab und wartete, bis Zoltánka, der sich zur Erkundung durch den hinteren Eingang hineingeschlichen hatte, ihm melden würde, ob sich der Augenblick dazu eigne, den Freund ungesehen in sein Schülerzimmer hinaufzuführen. »Die Dinge laufen gut, wir machen Fortschritte. Judith lässt mich kommen. Sie lässt mich im Geheimen kommen. Gut, das ist sehr gut«, wiederholte Wickwitz für sich; er dachte eben nur in einfachen Hauptsätzen, und sein Wortschatz war ziemlich bescheiden. Er verspürte keinerlei Aufregung. Warum sollte er? Der Junge hatte ihm gesagt zu warten. Folglich wartete er. Beim Militär kam das oft vor, er war es gewohnt. Dabei ging er langsam auf und ab, und da trat aus einem der Häuser auf der anderen Seite ein junges Kindermädchen, eine Einkaufstasche am Arm; sie blickte voller Bewunderung auf den
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