Die Schrift in Flammen
wenn über seine Verwundung dermaßen übertriebene Nachrichten im Umlauf waren und Adrienne sie so vernahm; sie würde es umso mehr zu schätzen wissen, dass er sie besuchte.
Er begab sich am Nachmittag zu Fuß hinaus zur Villa auf der Monostori-Straße. Mildes Tauwetter. Winzige Rinnsale sickerten aus den flachgetretenen Schneefladen und schlängelten sich hinunter zum Bach im Rinnstein, der den Gehsteig entlanglief. Von den Hausdächern tropfte es überall. Die Schneeberge von Gyalu waren im Dunst kaum auszumachen, und ein Frühlingsduft, der an den Geruch von gärendem Most gemahnte, lag in der Luft. Es tat wohl zu marschieren, lange Schritte zu machen, vertrauensvoll und vom Frühlingsversprechen erfüllt zu gehen – zu Adrienne, die ihn wohl besorgt erwartete und bei der, sollte sie sich über sein Kommen freuen, vielleicht mehr erlaubt … vielleicht mehr zu erlangen wäre …
Er bog ab und ging durch das Gittertor der Villa. An der Ecke des Hauptgebäudes kam ihm Pali Uzdy entgegen.
»Schau, schau her, du bist es?«, sprach Uzdy mit seinem gewohnt höhnischen Blick. »Aus der Distanz glaubte ich, Pityu Kendy besuche uns. Wie geht es denn? Wie ich höre, hast auch du ein kleines Hiebchen bekommen?«
»Oh, nichts von Belang.«
»Na … und? Den Pityu, den hast du dafür in die Pfanne gehauen?«
»Mehr hat er, glaube ich, auch nicht, der Rede nicht wert.«
Uzdy lachte verächtlich: »Diese Säbelduelle! Und überhaupt, alle Duelle ganz allgemein! … Ist man richtig wütend, dann ist das alles doch nur Kinderei. Und die vielen Formalitäten! Welchen Sinn hat das? Wollte ich jemanden umbringen, dann würde ich ihn ohne ein Wort totschießen. Aber diese altertümlichen Zeremonien!« Mit der Linken zupfte er seinen langen, dünnen Schnurrbart, und die Rechte legte er auf Bálints Schulter: »Geh nur hinein. Meine Frau ist zu Hause; ich gehe ins Casino. Nicht wahr, du siehst mir das nach?« Und an dieser Stelle lachte er eine Weile. »Servus! Auf Wiedersehen!« Und schon trugen ihn seine langen Beine fort, hinaus in die Richtung des Tors; mit zurückgeworfenem Kopf und bedächtigem Gang schritt er dahin.
Im inneren Korridor vertrat sich Adriennes Stubenmädchen die Beine, sie wartete offenbar auf Abády. Sobald sie ihn sah, ging sie auf ihn zu, nahm den Pelz, den Hut, die Galoschen und ließ ihn durch die Salontür eintreten. Adrienne blickte ihn an, als die Tür aufging. Sie saß nun auf einem der Kissen vor dem Kamin, in dem ein Feuer loderte. Nur ihr schlanker Oberkörper und das Gesicht wandten sich ihm zu. Freude spiegelte sich in den großen, gelben Augen, und die Lippen öffneten sich, um zu grüßen. Bálint eilte auf sie zu, kniete auf dem Wollteppich nieder und umarmte die Frau. Er suchte ihren Mund. Eine Sekunde schien es, als wollte die Frau Widerstand leisten, doch schon im nächsten Augenblick reichte sie ihm die Lippen – auch jetzt, wie tags zuvor, fest verschlossen.
Doch der Mann, gerade über ihrem Mund, befahl flüsternd: »Nicht so! Lassen Sie mich tun!« Und mit dem Mund bog er die Lippen der Frau behutsam zurück, bis sie sich zuletzt voll an die seinen hefteten. Er kam sich jetzt wie ein Lehrer vor, der eine Anfängerin unterrichtet. Doch bald überwältigte ihn das Begehren, es löschte jedes Denken aus, jagte berauschend in seinem Blut. Lange aber dauerte der Kuss nicht, denn die bisher geschlossenen Augen Adriennes öffneten sich, sie blickten flehentlich, und ihr Gesicht löste sich von dem des Mannes. Sie barg den Kopf an Bálints Schulter und verharrte eine Weile, während er sie am Hals unter ihrem Haar weiterküsste. Aber sie litt auch das nicht lange. Leise wiederholte sie: »Nein, nein, das nicht, tun Sie das nicht!«, und schob die schlanke Hand abwehrend zwischen ihre Haut und den Mund des jungen Mannes. Kurze Zeit verblieb sie so, dann zog sie sich von ihm langsam zurück. Nun sagte sie nochmals: »Nein, nein, tun Sie das nicht!«
Bálint setzte sich auf ein Kissen neben ihr; er behielt nur ihre Hand zwischen seinen zwei Handflächen. Er vermochte nur allmählich zu sich zu kommen; hinter seiner Stirn pulsierte es heftig, und es dauerte lange, bis sich seine Gedanken zu gesprochenen Sätzen ordneten. Es war denn auch nicht er, sondern Adrienne, die zu reden begann: »Was ist geschehen? Wie ich höre, sind Sie am Arm verwundet worden. Aber wo, und wieso ist er nicht in der Schlinge?«
»Oh, diese Wunde ist eine Kleinigkeit. Man brauchte sie gar nicht zu nähen, klebte
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