Die Schrift in Flammen
können, begann Judith bereits leidenschaftlich zu sprechen: »Ich weiß, dass du das mit Mama gemeinsam ausgebrütet hast«, sagte sie feindselig, »dass man mich fortbringt und ihm entreißt. Aber ich erkläre jetzt schon: Das ist nutzlos! Damit du es weißt: Ich liebe ihn und werde ihn heiraten! Ewig wird man mich in Wien doch nicht festhalten können!«
»Mais ma chère enfant!«, entsetzte sich Mademoiselle Morin und zeigte auf Abády, der in der Nähe stand und nicht recht wusste, was zu beginnen.
»Ça m’est égal! Meinetwegen sollen es alle erfahren. Im Gegenteil, umso besser. Dann wird man nicht umhinkönnen. Man wird einsehen …«
Adrienne sprang auf und suchte sie zu umarmen. »Liebste Judith, du bist sehr ungerecht mit mir. Ich sage nur so viel …«
Judith wehrte sie ab.
»Oh, ich weiß! Du hast mir darüber gestern schon erzählt«, unterbrach das Mädchen Adriennes Worte. »Aber nachher hast du mit Mama gegen mich konspiriert, jawohl, gegen mich, gegen mich!«
»Aber schau, ich will dich bloß davor behüten, ich will …«
»Oh, ich weiß! Du hast es erklärt. Nicht nur jetzt, sondern zuvor schon oft, dass es ekelhaft sei, abscheulich … Ich weiß schon! Aber ich schere mich nicht darum, das ist mir egal! … ganz egal, was mit mir und meinem Körper geschieht! … Ich will ihn retten. Das ist meine Berufung! Jawohl, ihn retten! Auch das habe ich von dir gelernt, dass es außer dem nichts gibt, gar nichts.«
Bálint mischte sich nun entschlossen ein. Judiths Worte hatten ihn sehr verstört, ihm kam es vor, als hätte er einen verbotenen Blick in Adriennes Frauenleben getan und Dinge erfahren, die Addy später peinlich werden könnten. Darum verbeugte er sich schnell vor Adrienne, küsste ihr die Hand, grüßte die Mädchen sowie die alte Gouvernante und verließ eilig den Raum. Er vernahm, bereits draußen, noch einige Worte: »Wirklich schamlos«, hörte er Adriennes zornige Stimme, »dass du es wagst, vor Bálint Abády so über mich zu sprechen!«
Er schloss die Tür und blieb stehen. Was war das? Was hatte Judith gesagt? Höchst überraschend. Wie war es? »Ekelhaft und abscheulich«? Worüber sprach sie? Doch dann verbot er sich jäh weitere Nachforschungen, schüttelte den Kopf und machte sich zu Fuß auf den Heimweg. Das Verbot war aber unnütz. Die vertriebenen Worte kehrten zurück. Sie summten, sie tanzten um ihn herum. »Ekelhaft und abscheulich!« »Egal, was mit meinem Körper geschieht!« Hatte Adrienne ihren Schwestern derartige Dinge erzählt? Hatte sie sie damit warnen wollen, waren das ihre Gefühle und Erfahrungen? Sah sie in der Liebe eine so abschreckende Grässlichkeit? War das die Erklärung für ihr mädchenhaftes Äußeres, für das Erschrecken, das sich beim Küssen manchmal in ihren Augen zeigte? Hatte sie bisher auch deshalb nicht gewusst, wie man küsst? Deshalb also? Deshalb?
Fragen dieser Art jagten sich in Abádys Kopf, während er eilig der Innenstadt zustrebte. Arme, arme Addy! So tief unglücklich musste sie wohl sein! Und bei diesem Gedanken erhob sich in ihm plötzlich ein entsetzlicher Hass gegen Pali Uzdy. Ihm schien, jener habe diese edle, in ihrer Seele so reine Frau, seine, Bálints Frau, entehrt und geschändet, ja, geschändet! Er beraubte sie der einzigen Wonne des Lebens, der einzigen Freude, welche die bösen Götter dem Menschen gewährt haben.
14 Deutsch im Original (A. d. Ü.)
X.
Wickwitz machte sich nun ernsthaft daran, seine Wechselangelegenheiten in Ordnung zu bringen. Er musste in Betracht ziehen, dass es ihm auch nicht gelingen würde, Judith von einem Tag auf den anderen für sich zu gewinnen. Er brauchte dazu viel eher Monate, es konnten drei bis vier werden. Das Mädchen war wohl in guter Form, doch mit ihren Eltern dürfte es noch viele Unannehmlichkeiten geben. Ein langer Distanzritt würde das werden, kein kurzer Hindernislauf. Darauf also muss man sich vorbereiten. Wofür ist demnach zu sorgen?, fragte er sich mit seiner langsamen, aber steten Logik. Zeit ist zu gewinnen. Was braucht es dazu? Man benötigt Geld. Dies nicht nur für die Wartezeit und für die Zinsen von Dinóras Wechseln, sondern auch für anderes, nicht Vorhersehbares. Es könnte etwa so kommen, dass er das Mädchen würde entführen müssen. Nun denn, dergleichen ließe sich ohne Geld nicht vollbringen. Darum also kaufte er sich außer den beiden zur Prolongation benötigten Formularen auch zwei Blankette, die je sechstausend Kronen entsprachen. Auch
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