Die Schrift in Flammen
sie, hast du dich erst einmal aus dem Staub gemacht, am Ende noch unglücklicher wird, als sie jetzt mit ihrem Mann schon ist. So etwas tun, das darf man nicht. Und wie brächtest du es danach fertig, mit ihr auf anständige Art zu brechen? Wenn du wenigstens – husch! – weit ins Ausland verschwinden könntest. Aber du bleibst ja hier in Siebenbürgen, hier gebunden, ihr gehört derselben Gesellschaft an … und ihr solltet nach einem so gemeinen Verrat einander ständig über den Weg laufen? Unmöglich! So schurkisch könntest du doch nicht sein. Und wenn du verliebt sein solltest? Wenn du sie von ihrem Mann trennen und sie heiraten wolltest? Aber du bist, nicht wahr, doch nicht verliebt? Und du willst es auch nicht sein, denn sonst hättest du es nicht so begonnen, mit dieser Dompteurmethode, sondern ganz anders, ehrlich und aufrichtig. Aber du willst frei bleiben, selbständig und unabhängig, das Leben ohne jede Verpflichtung leben. Warum dann? Wozu? Welchen Zweck hat diese Frauenjagd? Es gibt ja genug Frauen in der Welt, warum willst du gerade diese eine, gerade die, welche für dich am gefährlichsten ist?
So sprach der ständige Kritiker in seiner Seele.
Doch auch eine andere Leidenschaft wohnte in ihm, ein anderer Richter, der dem ersten Rede und Antwort stand. Der war viel zynischer und viel spöttischer. Er hatte Theorien von den Rechten des Mannes und vom Kampf, der das Gesetz über Männchen und Weibchen bildete, von der ewigen Ordnung der Natur und dass es für das Weib Befreiung bedeute, wenn sie wirklich zur Frau gemacht werde; dies sei ein echter Dienst, sagte der zweite Richter, und er führte zahlreiche Erfahrungen und Beispiele an: Wie viele Umstände mache manche Frau, und wie sehr doch erwarte sie, gewaltsam unterjocht zu werden, und je gröber es dabei zugehe, umso schmeichelhafter für sie, denn es diene als Beweis dafür, wie sehr sie begehrt werde. Du bist ein Esel, sagte der zweite Richter und lachte bloß über die moralischen Sprüche des ersten. Und er lachte auch über Bálint, der so stumpfsinnig und unfähig sei, dem ganzen Streichelspiel mit einer jähen Attacke ein Ende zu setzen. Wie ein Halbwüchsiger im Kollegium, so benimmst du dich, höhnte dieses zweite Ich.
Eines Nachmittags, als es schon stark dämmerte, folgte er nach langer Überlegung dem Rat dieses Letzteren. Sie saßen vor dem Kamin auf den vielen Kissen, Adrienne zurückgelehnt in seinen Armen. Sie unterhielten sich, wie schon oft zuvor, über die Liebe – sachlich, theoretisch. In Bálints Sätzen steckte immer eine verhüllte, zielgerichtete Absicht, aber Adrienne sprach ganz unpersönlich und mit so kühler Geisteshaltung, als ginge es um Bilder, Statuen oder um Literatur. Dabei vertrat sie sehr radikale Ansichten: »Die Ehe ist eine veraltete Einrichtung. Es ist unerlaubt, irgendjemandes Freiheit einzuschränken. Alle dürfen mit ihrem Körper anfangen, was ihnen beliebt. Das ist ihr ewiges, unverbrüchliches Recht. Der freie Wille allein entscheidet. Wenn er es sich wünscht.« Es sei zwar unverständlich, dass jemand deswegen sein Leben verpfusche … aber wenn es ihn danach gelüste … Sie verurteile darum keinen Menschen. Wenn jemand von solcher Natur sei, dann möge er entsprechend leben …
Solche Dinge sagte sie und argumentierte mit ungemeinem Schwung gegen die gesellschaftlichen Vorurteile. Vielleicht klang in ihren Sätzen auch die Enttäuschung über ihre Ehe mit. Bálint half ihr mit dem einen oder anderen ermunternden Wort, ihren Gedankengang fortzusetzen, und während er auf Attacke sann, küsste er leicht immer wieder den Hals der Frau an der Stelle, wo die beinahe schon unsichtbaren, feinen Fläumchen den Haaransatz bildeten und sich in samtene Pfirsichhaut verwandelten. Da war auch ihr so eigenartiger Frauenduft am betörendsten. Endlich drückte er sie in einer Pause mit starkem Arm an sich und versuchte, sie mit vorgehaltener Schulter rücklings niederzuzwingen. Doch kaum hatte die Bewegung eingesetzt, kaum hatte seine andere, forschende Hand sich auf den Weg gemacht, als der Körper der Frau sich spannte und sie sich mit der geschmeidigen Schnelligkeit eines Panthers befreite und aufschoss. Sie sprang zum Kaminpfeiler. In starrer Stellung, zur Verteidigung bereit, stand sie dort, und ihre Augen hefteten sich mit hasserfüllter Verwunderung auf den Mann.
»Was war das?«, fragte ihr Mund zornig, vor Erregung keuchend. »Wie wagen Sie …? Wie unterstehen Sie sich …?«
Bálint
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