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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Formalen sehr mittelmäßige Ansprachen. Einzig Doktor Zsigmond Boros, der Anwalt aus Marosvásárhely, ragte hervor. Er stellte als Referent den Adressentwurf vor. Er gebrauchte recht schöne Formeln, präsentierte in ruhigem Ton eine sachliche, schlüssige Begründung, und seine wohlformulierten, beinahe literarisch klingenden Sätze, die er von der Höhe des Rednerpults mit seiner brausenden Orgelstimme vortrug, sowie seine ganze Erscheinung, der schön gepflegte, spatenförmige Bart, die hohe Stirn, die spärlichen, aber harmonischen Armbewegungen, trugen mit zur Wirkung bei. Als Standpunkt befürwortete Boros natürlich den äußersten Widerstand. Er forderte das selbständige Zollgebiet, die selbständige Nationalbank, in der Armee die ungarische Kommandosprache, das heißt all das, was sie im Wahlkampf zum Stimmengewinn benutzt hatten. Sein Erfolg, versteht sich, war riesig. Als er zu Beginn der Pause vom Rednerpult herabstieg, fanden sich selbst in Tiszas Partei einige, die ihm applaudierten.
    Das Haus bot das gleiche Bild wie im Winter, als es zum ersten Mal zusammengetreten war. Verändert allerdings hatte sich die Stimmung. In den Bankreihen der triumphierenden Opposition schüttelte man sich nicht mehr zuversichtlich die Hände, klopfte sich nicht auf die Schulter und verzichtete auf siegestrunkene Scherze. Die Leute waren galliger, zorniger. Sie teilten sich bereits in Gruppen auf. Barra und Ugron saßen mit den streitbarsten Streitsüchtigen zusammen, mit den Kämpferischsten; der Kreis um Ferenc Kossuth suchte staatsmännische Ruhe zu demonstrieren; die Anhänger des zum Vorsitzenden gewählten Gyula Justh, in der Ausrichtung radikaler, blickten sowohl auf Kossuths Garde als auch auf die Gefolgsleute Apponyis mit Misstrauen, da sie die Letzteren für unechte 48-er hielten, obwohl es auch unter diesen einige gab, die mit saftigen Zwischenrufen danach strebten, die alte äußerste Linke zu überbieten.
    Die einstige Nationalpartei, die Gefolgschaft Apponyis, reichte bis zur Mitte des Halbrunds; die Verfassungspartei schob in den ersten Bänken einen Keil in ihre Reihen. Die Gruppe Andrássys umfasste lauter feine, vornehme Leute. Wuelffenstein gehörte zu ihnen. Er trug einen Pepitaanzug; dem, der ihn ansah, flimmerte es vor den Augen. Doch Wuelffenstein machte ernste Miene, wie es sich für einen Gesetzgeber gehört. Weiter hinten und höher saßen Dezső Bánffys Leute sowie einige Parteilose. Hier, beinahe schon bei der Säule zur Galerie, hatte auch Abády seinen Sitz. Es war ein guter Platz, fast in der Mitte. Er sah und hörte von hier aus alles ausgezeichnet; und der Standort passte auch zu seiner Natur, zu seiner übertrieben kritischen Neigung, die ihn veranlasste, sich von den anderen fernzuhalten.
    In den Bänken hinter ihm saß die zahlenmäßig immer noch ziemlich starke Liberale Partei des gestürzten Tisza, und dahinter vierzig Kroaten: Delegierte, ausgewählte und vom Zagreber Parlament entsandte Leute, die ihre Positionen gemeinsam bezogen und untereinander Kroatisch sprachen. Sie nahmen an keinem Geschäft teil, denn sie beschränkten sich jeweils darauf, Erklärungen abzugeben, und sie waren immer nur dann anwesend, wenn Anliegen gemeinsamer Natur zur Sprache kamen, so wie diesmal die Adresse an den Herrscher.
    Vor ihnen und von den Liberalen umgeben hatten die Vertreter der Nationalitäten ihre Plätze – abgesondert wie auf einer Insel. Zu elft waren sie vollzählig da. Sie verharrten wort- und bewegungslos. Im Verlauf der Debatte würde auch aus ihren Reihen jemand das Wort ergreifen und einen eigenen Vorschlag präsentieren. Jetzt saßen sie ruhig da, fremd und frostig. Unter ihnen Teodor Mihali, der Vorsitzende der Nationalitätenfraktion, ein Mann mit gewaltigem schwarzen Bart, um ihn herum Maniu, Vlad, Alexandru Vaida-Voerod, alle, die später eine Rolle spielen sollten, sowie der alte Aurel Timișan, um dessen weißen Schnurrbart stets ein humorvolles Lächeln spielte. Aufs Haar wie Papa Milóth, so sieht er aus, dachte Bálint, als er ihn erblickte.
    Unterhalb dieser Gruppen und weiter bis zum Eingang rechter Hand nahmen die Vertreter der bisherigen Regierungspartei die Plätze ein: stumm und lustlos. Auch sie vollzählig. Einzig der Sitz des im Duell getöteten alten Keglevich drüben bei der ersten Ecke war leer geblieben. Seine riesige Gestalt fehlte im Bild. Vor der ersten Bankreihe hatten sich einige Minister niedergelassen; Tisza saß auf dem Platz des

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