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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Ministerpräsident gestürzt ist, soll sich nicht so frech benehmen!« Das war selbst für Justh zuviel. Als Vorsitzender erteilte er dem Zwischenrufer eine Rüge. Mit geringem Erfolg. Drei bis vier Leute in den Bänken der 48-er sprangen auf: »Wir schließen uns an! Wir, wir auch!« Und der Lärm nahm derart überhand, dass der Präsident die Sitzung suspendierte.
    Die Menge flutete hinaus auf den Korridor. Da Tisza und seine Anhänger sich gleich entfernt hatten, zerstreuten sich die Abgeordneten der Koalition an den drei Seiten des Ratsaals. Gruppen bildeten sich; vier oder fünf, anderswo zehn bis zwanzig Leute scharten sich zusammen, je nach der Wichtigkeit des führenden Mannes, den sie umstanden und dessen Worten, Voraussagen oder kritischen Anmerkungen sie zuhörten; sie suchten den einen oder anderen Satz zu erhaschen, um ihn später im Kaffeehaus oder im Parteikreis zu zitieren oder gar als eigenes Urteil weiterreichen zu können. Dergleichen war sehr nützlich, denn es erhöhte ihr Ansehen in den Augen der braven Bürger.
    Über die Wortmeldung Mihalis sprach man nicht, dafür umso mehr über Tiszas Rede. Empörung herrschte. »Er intrigiert gegen die Wünsche der Nation!« »Er hetzt die Österreicher gegen uns!« Die Stellungnahme der Kroaten, die sich gegen den Vorschlag der Oppositionellen gewandt hatten, bedeutete ebenfalls eine Enttäuschung, wo doch deren Blätter schon seit Tagen verkündet hatten, dass sie mit ihnen stimmen würden. »Hier muss in der letzten Minute, im allerletzten Augenblick im Geheimen etwas geschehen sein«, erläuterten sie einander, in ihrer politischen Naivität zur Vorstellung unfähig, dass jemand nicht auf ihrer Seite stehen, ihre guten Absichten nicht anerkennen könnte; und befangen in der Idee, dass einer, der dies nicht tat, einzig aus Gemeinheit und bösem Willen handelte. Dass die Völker durch ihre Interessen gelenkt werden und dass jede beliebige Regierung ihre Ruhe und Kraft daraus schöpft, diese Interessen zu begreifen, sie zusammenzufassen und aufeinander abzustimmen, davon hatten sie keine Ahnung. Sie sahen in jedem, der ihnen widersprach, einzig einen Feind. Dies war die Zeit, in der jene Gereiztheit Wurzeln schlug, die später, als sie an die Macht kam, die regierende kroatische Partei, ein Werk der langen Amtszeit des Banus Khuen-Héderváry, schwer zurückwarf und jenseits der Drau – nach dem kurzsichtigen Willen der Regierung in Budapest – einer serbischen Koalition zur Herrschaft verhalf.
    Doktor Zsigmond Boros fasste am ausdrucksvollsten die Stimmung zusammen, die unter der Wirkung der jüngsten Ereignisse entstanden war. »Wir müssen einsehen«, erläuterte er in schönen Quersätzen den um ihn stehenden Kollegen, »dass unsere Adresse, gegen die Tisza, die Kroaten und die Nationalitäten eine gemeinsame Front bilden, keine Aussicht hat, vor dem Thron objektives und wohlwollendes Gehör zu finden. Daran liegt es. Einzig daran. Die da haben die Sache verdorben. Der König hätte sonst nachgegeben … das steht fest. Wir hätten die Kommandosprache bekommen, denn der König hat den dringenden Wunsch nach Vergrößerung der Armee. Das ist seine Leidenschaft. Einzig die da haben alles verdorben.«
    Bálint hörte ihm während einiger Minuten zu, dann wandte er sich traurig ab. Etwas entfernt, in der dämmrigen Nische des sogenannten Empfangssaals erblickte er jetzt die rumänischen Abgeordneten, unter ihnen Timișan. Er ging auf ihn zu und grüßte. Timișan gab sich spöttisch gemütlich, so wie zuletzt im Zug, während sich die anderen, denen er sich vorstellte, leicht zeremoniell frostig verhielten. Bálint spürte, dass sie ihn beobachteten, beschnupperten, dass sie auch Argwohn hegten. Er brachte in Zusammenhang mit Tiszas Vortrag ein wirtschaftliches Thema mit Bezug auf Siebenbürgen zur Sprache. Hier gehe es, dachte er, um gemeinsame Interessen, da könnte man sich treffen; die anderen gaben ihm aber nur höfliche, keine substanziellen Antworten. Etwa eine Viertelstunde unterhielt er sich mit ihnen, bis der Glockenton die Abgeordneten wieder hineinrief.
    Bei der Rückkehr zu seinem Platz ging er an Wuelffenstein vorbei. Dieser sprach ihn an: »Du hast mit diesen Walachen gesprochen? Wie kannst du so etwas tun? Das tut man doch nicht! Mein ungarisches Blut kocht, wenn ich sie nur schon sehe!«
    Die Adern an Abádys Stirn schwollen leicht an: »Ich tue, was ich für richtig halte. Hast du daran etwas auszusetzen?«
    »Oh, bitte! Oh,

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