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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Ministerpräsidenten. Manchmal beugte er sich vor über sein Pult und machte sich Notizen. Sonst rührte er sich nicht. Auf der entgegengesetzten Seite aber hörte das Gerede nicht auf, große, laute Worte fielen, und als der offizielle Redner der Liberalen Partei, Ferenc Nagy, die Vorlage Punkt für Punkt einer Prüfung unterwarf, kam es zu gellenden Rufen und Kundgebungen des Unmuts.
    Die beiden ersten Sitzungstage verliefen eher uninteressant. Der dritte brachte mehr Aufregung. Teodor Mihali war mit seiner Rede an der Reihe. In letzter Zeit, seit die Nationalitäten ihre passive Haltung aufgegeben hatten, war dies ihre erste Wortmeldung. Er erhob sich inmitten seiner Gruppe; die Übrigen umgaben ihn eng, als wollten sie ihn beschützen. Er sprach ein korrektes, vorzügliches Ungarisch. Die von der Mehrheit vorgelegte Adresse akzeptierte er nicht; er unterbreitete einen anderen, eigenen Entwurf, in dem er um die Reform des Wahlrechts bat, ferner um Neueinteilung der Wahlkreise und um die Anwendung des Nationalitätengesetzes, das sie selbst in dieser Form bisher nie angenommen hätten. Die Autonomie Siebenbürgens, einen der Hauptpunkte des Parteiprogramms von Hermannstadt, erwähnte er nicht einmal. Seine Sätze blieben gemäßigt. Als er aussprach, dass auch sie Mitglieder der politischen ungarischen Nation seien, wurde er beklatscht. Er schlug eine zweijährige Dienstzeit bei der Armee vor und äußerte sich vorsichtig über das selbständige Zollgebiet. Seine Rede verursachte keinerlei Aufregung. Viele befanden sich gar nicht im Saal, sondern warteten im Korridor ab, dass Mihali seine Rede beende, denn das Spektakel sollte erst jetzt losgehen, wenn Tisza sich zum Wort erheben würde. Nun strömten alle herein. Freilich! Man musste ja ihn bekriegen, gegen ihn fechten, kämpfen, das Blut bis zum letzten Tropfen vergießen – Worte, die in jeder Ansprache wiederkehren würden –, bis zur Erschöpfung, bis zum Tode! Er war der wirkliche Feind, ihn galt es zu zerstampfen, ihn, der selbst jetzt und immer noch als der Gegner galt, obwohl er sich in der Minderheit befand und schon im Januar abgedankt hatte.
    Gewaltiger Lärm empfing ihn, als er sich erhob. Ferenc Kossuth wandte sich nach hinten; er suchte die Leute hinter sich zu beschwichtigen. Er wünschte, seine Partei benähme sich würdiger, europäischer, sie sollte sich fähig zeigen, Regierungsverantwortung zu tragen. Doch das Getöse ließ nur langsam nach. Nun konnte Tisza endlich seine Rede beginnen.
    »Als zurückgetretener Ministerpräsident habe ich nicht das Recht, die Verhandlungen im Parlament zu führen …« sagte er.
    »So ist es! Weg mit Ihnen! Scheren Sie sich fort!«, rief man von der Gegenseite in wildem Durcheinander, während Tisza, steif und dürr, unbeweglich stehen blieb. Seine breitschultrige, dunkle Gestalt ragte vor dem roten Polstersessel fest empor, eine Hand hielt er hinter der Hüfte, wie beim Fechten, die andere unterstrich ab und zu mit einer entschiedenen, kurzen Bewegung seine Worte, manchmal schoss sie mit gestrecktem Zeigefinger vor, um die eine oder andere Angabe festzunageln. Er stand einsam da. Vergeblich hatte er ein immer noch ansehnliches Lager hinter sich. Es wirkte trotzdem, als stünde er allein allen gegenüber. Ganz allein. Was er aussprach, war wohlbedacht und streng. Seine Rede hätte auch etwas trocken wirken können ohne die spürbare Überzeugungskraft, welche den sachlich formulierten Sätzen eine innere Wärme zu verleihen schien. Er sprach nicht über den Gesamtinhalt der Adresse – dies hatte der offizielle Redner der Partei in seinem Namen bereits getan –, sondern einzig über das selbständige Zollgebiet. Er beschränkte sich auf wirtschaftliche Themen: auf die Agrarausfuhren des Landes, auf die internationalen und innerhalb der Zollgemeinschaft bestehenden Preise für Getreide, Mehl und Schlachtvieh. Er verwies auf das gewaltige ungarische Interesse am Markt der österreichischen Kronländer. »Sie hetzen die Bauern gegen uns auf!«, schrie man ihm entgegen, aber er fuhr mit seinen langen Ausführungen fort, zitierte Zahlen und Tabellen, nannte Argumente. Länger als eine Stunde sprach er in seinem männlichen, besonnenen, aber stets auch leicht angriffigen Ton, ohne sich um die ständigen Zwischenrufe auch nur im Geringsten zu kümmern. Riesiger Lärm brach los, als er sich schließlich wieder auf seinen Lehnstuhl setzte. Ein Patriot mit aufgedunsenem Gesicht brüllte ihm zu: »Wer als

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