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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Schraubstock Bálints Brustkorb langsam zusammen. Uzdy ging zu seiner Frau hinauf!
    In einem Augenblick wurde ihm blitzartig alles klar. Klar das harte Lachen Adriennes, ihre Flucht hinaus auf die dunkle Terrasse, ihr Widerstand gegen den Seidenshawl, klar ihr Gesicht und ihr erschreckter Blick, als sie soeben auf dem Korridor gute Nacht gewünscht hatte; dies, dieses Gesicht, er hatte es einmal schon gesehen, damals, als er sie in Klausenburg hatte zwingen wollen – warum erkannte er es jetzt nicht? Klar, dass sie wusste … dass sie immer bestimmter fühlte: diese Nacht … Klar, sie benahm sich feindselig gegenüber allen, die sie umgaben, weil sie es spürte, weil sie sich fürchtete und im Voraus schon Abscheu empfand.
    Bálints geballte Fäuste schlugen auf dem Fenstersims auf. Er biss sich die Lippen blutig.

    Bei Morgendämmerung war er erneut im Wald. Er hatte sich ohne jede Lust hinausbegeben und hätte auf diesen Pirschgang wohl auch verzichtet, wären Addy und er tags zuvor nicht übereingekommen, dass er Judiths Brief mitbringen und ihn ihr im Wald aushändigen werde. Niemand sollte es sehen, dies war die beste Lösung.
    Die Jagd wurde eher zum Spaziergang, denn Bálint wollte die Eichenwälder seiner Mutter besichtigen, folglich ließ er sich zu dem Bergrücken führen, wo die Grenze der Güter verlief, von hier konnte er alles in Augenschein nehmen; die Rehe aber, die er unterwegs zu sehen bekam, ließ er unbehelligt. In zügigem Tempo brauchten sie drei Stunden für den Weg hin und zurück. Die schnelle Bewegung und der glänzende Morgen hellten seine Laune etwas auf. Doch seine Miene verfinsterte sich wieder, als er sich bei der Heimkehr dem Ziel näherte und Adrienne erblickte. Er riss sich zusammen, damit sie an ihm nichts bemerkte, und nachdem der Wildhüter sich entfernt und sie sich in den dichten Wald begeben hatten, versuchte er sie zu umarmen. Addy wich vor ihm zurück und hielt ihn mit gekrümmten Fingerspitzen von sich fern.
    »Nein … bitte, nein!«, sagte sie kaum vernehmbar, und ihre Schultern schienen vor Schaudern zu erzittern. Bálints Herz verkrampfte sich vor Mitleid. Ihre Bewegung! Als wollte sie sagen: »Berühre mich nicht, ich bin unrein.« Die Leprakranken, dachte er, wehren sich so mit ausgebreiteten Armen. Und er nahm Adriennes Hand, die sie bei ihm beließ, als sie begriff, dass er sie einzig mit Zuneigung hielt und sie nicht gewaltsam zu küssen versuchte. So gingen sie, braven Kindern gleich, Hand in Hand weiter. Lautlos schritten sie auf dem rasenbedeckten Weg. Viele Waldvögel, Zeisige und Buchfinken, pfiffen um sie herum. Der eine oder andere Buntspecht lief den Stamm hinunter und musterte sie neugierig. Sie setzten sich auf einer kleinen Lichtung. Bálint spürte, dass Addy sich wehren würde, sollte er versuchen, sie in die Arme zu schließen. Nein, das wäre ungut. Zuerst musste er dafür sorgen, dass sie jene … Sache … vergaß. Er suchte sich darum etwas entfernter einen Platz und überreichte Judiths Brief.
    Der Umschlag, den man so viel herumgetragen hatte, war auf einer Seite aufgegangen. Adrienne erbrach ihn nach kurzem Zögern ganz und nahm den Brief heraus. »Ach, er ist ja eh offen!«
    Es waren vier Seiten, mit vielen heftigen, eckigen Buchstaben bedeckt. Sie las langsam, aufmerksam. »Arme Judith«, sagte sie zuletzt, »arme Judith!« Den Brief in der Hand, versank sie in Gedanken.
    Wie schön sie jetzt war – und wieder anders. Sie saß im Gras, die Knöchel unter sich hochgezogen, ihr Oberkörper, an dem sich die kleinen Brüste kaum abzeichneten, gerade aufgerichtet. Ihr Hut war heruntergefallen. Das sich wild schlängelnde, rußfarbene Haar tanzte mit den verrücktesten Wirbeln um ihre Stirn, es bildete lauter schwarze Fragezeichen. In ihrem dünnen blauen Kleid, neben dem ihre Haut noch blasser erschien, hätte man sie für eine gerade erst Heranwachsende halten können, für ein trauriges Mädchen, das man stiefmütterlich behandelte und das all die Bösartigkeiten des Schicksals zu begreifen suchte. Ihr Gesicht zeigte sich im Profil. Sie hob die dünne, leicht gebogene Nase, die vollen, roten Lippen standen offen, als wartete sie auf die nicht eintreffende Antwort. Die Augen schweiften weit, ihr Blick durchdrang das von Schlehdorn gesäumte Dickicht. Bálint wartete, er sagte nichts. Addy brach schließlich das Schweigen: »Weißt du, eigentlich habe ich die unselige Geschichte verursacht. Ja, ich, wundere dich nicht, es ist so. Ach, nicht

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