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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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sollte, das, was sie selber für eine erstrangige patriotische Pflicht hielten, scheitern zu lassen. Noch konnte man gar nichts wissen, und da in der Frage Ungewissheit herrschte, hatte der Hochschullehrer Doktor Körösi, der selber und im Namen seiner Mitstreiter der Antragsteller war, nicht nur Studenten in den Saal mitgebracht, sondern auch dafür gesorgt, dass unten auf der Straße die Bauernjugend von Hóstát vor dem Stadthaus aufmarschierte, um abwechselnd »Hoch!« und »Abzug!« zu rufen, damit die von jeher treu zur Tisza-Partei stehende Mehrheit der Generalversammlung sehe, hier werde nun nicht um Nüsse gespielt. Ab und zu begab sich das eine oder andere Mitglied aus den Reihen der Opposition hinaus auf den Balkon und fütterte die unten Stehenden mit Parolen, auf dass sie sich ja nicht zerstreuten.
    Drinnen im dämmrigen Saal las unter dem überlebensgroßen Porträt Franz Josephs ein Finanzrat die Daten des Rechungsabschlusses vor, eilig und unbeteiligt nannte er viele Zahlen und Angaben, da er sehr wohl wusste, dass dies jetzt niemanden kümmerte. Tatsächlich gab es keine einzige Wortmeldung, während sonst Budai, der Handschuhmacher, oder Binardi, der Metzgermeister, sich an jedem Posten festzubeißen pflegten. Nicht eine Stimme wurde diesmal laut, denn die Opposition hatte die Parole ausgegeben, dass man keine Debatte provozieren und damit das Publikum ermüden dürfe, um zu vermeiden, dass sich die eigene Seite, einige 48-er, im Saal plötzlich allein wiederfinden sollte. So wurde also heute kein Einwand laut. Man nahm das Vorgetragene zur Kenntnis. »Gewährt uns demnach die Versammlung die Entlastung?«, fragte der Bürgermeister.
    »Ja! Ja!«, rief man von beiden Seiten, und von hinten erschallte der Ruf: »Körösi! Körösi!«
    Der Hochschullehrer Doktor Körösi bat ums Wort. »Bitte«, sagte der Bürgermeister, und nachdem er dies ausgesprochen hatte, ließ er seinen mageren, gebrechlichen Körper zurückfallen, rückte an der Nase die massive Brille zurecht und drückte die Fingerspitzen seiner langen Hände gegeneinander – wie jemand, der weiß, dass sie nun geraume Zeit ruhig würden bleiben können.
    Körösi stand auf. Er erhob sich in der zweiten Bank, während der tatsächliche Anführer der Klausenburger Opposition vor ihm saß: Professor Apáthy, umgeben von seinen Genossen, als wären sie Leibwächter. Sie alle und die Leute in der Bankreihe gegenüber, wo sich die Tonangeber von Tiszas Partei befanden, starrten einander feindselig an, und auch an deren Spitze standen Universitätsprofessoren, denn die politischen Parteien lagen miteinander an der Alma Mater ebenso in Fehde wie überall im Land. Körösi richtete seine Worte an diese Gegner, nicht an den Vorsitzenden. Der dicke, große, beleibte Mannsprach mit Ö-Vokalen, da er kein Hiesiger, sondern aus Szeged gebürtig war. Die Worte folgten einander Schlag auf Schlag: »Die verdammten Österreicher«, »die Wiener Kamarilla«, »Attentat, Schande«, »Verräter, Henkersknechte, Trabanten«, »Lajos Kossuth, die ungarische Ehre und die Märtyrer von Arad«, »Haynau und Bach«, »Soldateska und Kabale«, »Degenquaste und Kommandosprache«, »selbständiges Zollgebiet, selbständige Bank«, »Rákóczi und Bocskay« – die Rede enthielt alles, was die Ungarn aufzuwiegeln und zu begeistern pflegt, und dies mit allen feinen Unterscheidungen bei der juristischen Argumentation, den Glaubensdiskussionen der Scholastiker ähnlich. Seine härtesten Sprüche schleuderte er gegen die Widersacher auf der anderen Seite, er erwartete, dass sie aufbegehren würden, aber die Gegenseite blieb ruhig und lächelte bloß. Zuletzt las er die Eingabe vor, in der es hieß, der Rat verbiete den städtischen Behörden die Ausführung von Maßnahmen der Regierung und untersage ihnen insbesondere, Freiwillige, die sich für die Soldatenlaufbahn melden, der Armee zu überstellen, sowie freiwillig geleistete Steuern dem staatlichen Finanzwesen abzuliefern.
    Nachdem er die Rede beendet hatte, trocknete er sich die von struppigem Haar bedeckte Stirn. Mächtige Hochrufe schallten ihm vom Publikum her entgegen, und einer seiner Kollegen eilte hinaus auf den Balkon und wies mit einer Geste die Leute unten an, in den Beifall einzustimmen – sollten doch die Stadtvorsteher hören, dass die Massen hinter Körösi und seinen Freunden standen.
    Der Bürgermeister hob die Hand. Der Lärm ebbte ab.
    »Wünscht jemand zum Vorschlag das Wort?«, fragte er in seinem

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