Die Schrift in Flammen
ruhigen, offiziellen Ton. Für einige Sekunden trat Stille ein. Apáthy und sein Lager blickten herausfordernd auf einen kleinen, dicklichen Hochschullehrer, Professor für Frauenheilkunde, der bisher als ein Vorkämpfer der Regierungspartei aufgetreten war. Sie meinten, er werde sich erheben und mit seiner feinen, messerscharfen Stimme protestieren. Doch er rührte sich nicht, er blickte nur spöttisch in die Runde. In der Stille aber ertönte die Stimme des Bürgermeisters: »Die Versammlung nimmt den Vorschlag von Herrn Hochschullehrer Körösi einstimmig an.«
Die Mitglieder der Opposition und die zu ihnen haltenden Zuhörer überraschte es außerordentlich, dass die Sache so glatt durchgegangen war. Sie hatten sich darauf gefasst gemacht, dass es Streit und Lärm geben würde, »Kampf«, wie sie es nannten. Das Publikum bejubelte den Bürgermeister und die Ratsherren. »Hoch Szvacsina!«, rief man von allen Seiten. »Hoch die Ratsmitglieder!« Diese verbeugten sich lächelnd. Offensichtlich freuten sie sich, dass für einmal auch sie gefeiert wurden. Endlich einmal! Die Disziplin der Tisza-Partei hatte von ihnen bisher oft Unpopuläres verlangt. Jetzt aber hatte Tisza die Parole gegen die Trabanten-Regierung ausgegeben. Nun durften, ja mussten auch sie Widerstand leisten. Es war erlaubt, volkstümlich zu sein. Und das Lied ertönte: »Lajos Kossuth hat berichtet …«
Die siegreichen Oppositionellen stiegen zur Menge vor dem Stadthaus hinunter; der Auflauf war mittlerweile größer geworden, Herumstehende und Vagabunden strömten herbei, Zigeuner und Leute vom Wochenmarkt schlossen sich an, um Wunder was zu erleben. Eine richtige Volksmasse überschwemmte schon die Straße und den Bürgersteig. Auf dem mittleren Promenadenweg stellte sich Körösi auf eine der Bänke, wo die Hökerinnen am Morgen Grünzeug zu verkaufen pflegten, und von dort gab er mit begeisterten Worten das Ergebnis bekannt. Als er seine Ansprache beendete, sprang ein stiernackiger, langarmiger, in grauem ungarischen Anzug steckender Mann auf die gegenüberstehende Bank. »Wertes Publikum von Klausenburg!«, brüllte er. »Im Namen von Marosszék grüße ich diese patriotische Stadt, die am heutigen heiligen Tag …«
Es war Jankó Cseresnyés, der durchtriebene Agent, der Abádys Wahl auf eine so schlaue und auch für sich selbst nützliche Weise bewerkstelligt hatte. Er war zufällig vom Schweinemarkt hierher verschlagen worden; dort hatte er für eine Mästerei in Torda dreißig Milchferkel erstanden. Nach Erledigung des Geschäfts war er in die Innenstadt gekommen. Beim Anblick der stattlichen Versammlung konnte er der Versuchung nicht widerstehen, auch selber eine Rolle zu spielen. Darum ernannte er sich selbst zum Vertreter der Székler des Maros-Gebiets. Er fühlte sich in seinem Element. Jetzt stand es ihm frei, zum Reden auszuholen: »Wir Székler, die wir 1848 die Russen verprügelt haben, wir, die wir eine ganze österreichische Armee in die Hölle verjagt haben, wir sind entschlossen, unser Leben und Blut zu opfern, um das zu erkämpfen …«
Professor Körösi und seine Begleiter warteten etwa zehn Minuten, ob Cseresnyés Schluss machen würde, doch da sie sahen, dass er eine endlose Ansprache zu halten gedachte, gingen sie zum Mittagessen nach Hause. Cseresnyés aber sprach und sprach … Seine gewaltig schallende Stimme schmetterte entlang der Straße sogar bis zum oberen Ende des Hauptplatzes. Selbst dort hörte man all das Gute, das er versprach: »Ein selbständiges Zollgebiet, das muss her! Und überließe man die Geschäfte mir, dann würde ich es so anstellen, dass alles, was wir verkaufen, einen hohen Preis haben sollte, was wir aber erwerben, billig sein müsste!«
»Hoch! Gut gesprochen!«, rief die Menge.
»Ich würde die Steuern abschaffen! Jawohl! Abschaffen würde ich sie!«
»Sagen Sie so etwas nicht, Herr!«, rief jemand aus der Mitte der Hóstáter Leute. »Der Staat kann ohne Steuern nicht bestehen!«
»Ich aber würde sie doch abschaffen! Aus den Zöllen käme so viel an Einnahmen, mit dem Geld könnte das Land schon leben. Denn wozu braucht es so viel Geld? Die Regierung braucht es einzig dazu, um aus unseren Söhnen österreichische Soldaten zu machen.«
»Richtig! Richtig!«
Über eine großangelegte Außenpolitik hatte er auch etwas zu sagen: »Selbst die Japaner haben die Russen verhauen, mit denen ist es aus! Ja, warum benötigt dann der österreichische Kaiser so viele Soldaten? … Die dienen
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