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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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begründet. Sein Gewehr hatte die Einladung bekommen, nicht er selber! Warum sollte er sich nun am Abschied beteiligen und so tun, als wäre auch er einer von Rang!
    Er verharrte in der Bibliothek, in der es dunkelte. Der Abend leuchtete durch die drei bis zur Erde reichenden Fenster ins Innere. Drei lange Lichtstreifen zogen sich in bläulichgrauem Glanz das glatte Parkett entlang, als ob der Frost von draußen den Boden mit Eis bedeckt hätte. László schritt auf diesem gleißenden Streifen zum Fenster – wie auf einem Steg. Blaugrau war die ganze Natur. Grau wirkten im Dunst des Abends auch das Gras, die Baumstämme und die Buchshecken mit ihren scheckigen Blättern. Die Fliederbüsche schimmerten grauviolett wie die anderen Ziersträucher, welche die von Rasen bedeckten Aussichtsschneisen mit berechneter Natürlichkeit immer wieder unterbrachen. Sie führten das Auge in drei Richtungen in die Ferne: zu einem künstlichen See, zu dem mit Steinsäulen als kleiner griechischer Tempel gebauten Gartenhaus und linker Hand den Hang entlang, wo der Blick vom Hügel in die weite Ebene ging. Eine grenzenlose Traurigkeit befiel László in dieser spätherbstlichen, schon in den Winterschlaf versinkenden Landschaft, die ein Gestalter, ein Fachmann, nach besten englischen Vorbildern geschaffen hatte. Das Werk war gut geraten, der Park, ein richtiger englischer Garten, wirkte viel größer als in Wirklichkeit, obwohl die Bäume in dem sandigen, an Wasser armen Boden nicht hoch wuchsen und der Rasen schon im August gelb wurde und verdorrte. Die ausgestreckten, entlaubten Äste, die verbrannten Fluren, das sich verlierende, von einem leichten Nebelschleier ahnungsvoll gedämpfte Landschaftsbild, all dies kündete dem jungen Mann wehmütig von der Vergänglichkeit, wie wenn selbst die Natur nur seine Trauer und Verwaistheit dargestellt hätte.
    Heiratet Klára diesen Montorio, dann komme ich nie mehr hierher. Nein, niemals, sagte er sich, und bei diesem Gefühl des endgültigen Abschieds suchte er sich alles, was er vor sich sah, genau einzuprägen, um es nicht zu vergessen und später einmal, wenn er sich selbstquälerisch würde erinnern wollen, ins Gedächtnis zurückrufen zu können.
    Sich daran erinnern, dass er einst, während so vieler Jahre, hier so glücklich gewesen war. Auf dieser Wiese waren sie als Kinder herumgetollt, dort, jenseits der Rosenhecke hatten sie Krocket gespielt, und er stand immer auf Kláras Seite. In den Büschen da hatten sie sich beim Versteckspiel zusammen verborgen – Erinnerungen überall, tausend Erinnerungen an die frühe Jugendzeit. Von ihnen galt es nun Abschied zu nehmen.
    Fröhliches Geplauder. Eilige, unbeschwerte Schritte. Jene, die dageblieben waren, Péter und Magda, kehrten in den Roten Salon zurück. Dann andere, leichte Schritte, immer näher – Kláras Schritte. László wurde es schwer ums Herz.
    Klára blieb beim Fenster neben ihm stehen.
    »Auch ich mag diese Aussicht sehr«, sagte sie. »Und so bei Dämmerung gefällt sie mir am besten.«
    Sie legte die Hand auf den Fenstergriff. Ihr Arm streifte Lászlós Schulter. »Ich schaue hier oft hinaus, wenn ich allein bin.«
    Jetzt! Jetzt könnte er sie fragen, könnte erfahren, was am Abend geschah, ob Montorio …
    Er fand aber die Worte schwer. Irgendwie begann er trotzdem. Seine Stimme klang heiser: »Sag, Klára, sag …«
    »Weißt du noch, als wir klein waren, hast du mir einmal von der Platane dort heruntergeholfen«, lachte Klára, und sie fügte an: »Ich war so ängstlich, ich wagte nicht, vom Ast herunterzuspringen.«
    »Ach, natürlich weiß ich das!« Nun zögerte er und wollte die Frage von vorhin wieder stellen. Doch bevor er dazu kam, wandte sie ihm langsam den Kopf zu. Ihr Gesicht drehte sich ganz sachte, ruhig und gleichmäßig, und zuletzt, ihm gegenüber, blickte sie ihm geradewegs in die Augen.
    Als wollte nun sie stumm etwas fragen.
    Ihre roten Lippen öffneten sich leicht, als warteten auch sie auf etwas. Kláras Gesicht war jetzt anders als je zuvor. Anders, ganz anders! Es war sich gleich und dennoch neu, unbekannt und rätselhaft. In László verwischte sich bei seinem Anblick jeder andere Gedanke, all die Grübelei und die Eifersucht, alles war dahin. Eine einzige Idee stieg in ihm hoch, eine Sehnsucht beherrschte ihn: das Mädchen küssen.
    Doch er zögerte wieder. Vielleicht würde sie zürnen, vielleicht würde er sie beleidigen, wenn er, der Kamerad und Spielgefährte aus der Kinderzeit, ihr

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