Die Schrift in Flammen
gewaltsame Chromatik, dass man hätte meinen können, da sei ein ganzes Orchester mitsamt Zimbal, Pfeifen, Tschinellen und dem tiefen Brummen der Bassgeigen am Werk. Solchem Spiel gab sich László mit großer Lust hin. Er wusste, dass dies seine Stärke war. Das in ihm schlummernde Ungestüm, das sich weder in seinen Gesten noch in seiner Rede je meldete, brach sich in solchen Momenten Bahn; entfesselt zu rasen vermochte es stets nur, wenn er musizierte.
Das Tanzlied ertönte noch, hüpfte und lachte unter seiner Hand, als Klára sich unerwartet aufrichtete. Vielleicht hatte sie nur dank ihrer verfeinerten Sinne verspürt, dass in den Salons nebenan etwas vor sich ging. Bestimmt würde nun das Ehepaar Kanizsay zum Nachtzug aufbrechen. Sie stellte sich gleich in die Mitte des Saals, wo sie durch die Reihe der weit offen stehenden Doppeltüren hindurchblicken konnte und wo auch sie für die anderen drüben gut sichtbar war.
Tatsächlich, die Kanizsays verabschiedeten sich bereits. Frau Kollonich begleitete sie hinaus. Alle strömten in die Vorhalle, um auf Wiedersehen zu sagen und der Dame die Hand zu küssen. Nachdem der General und seine Frau gegangen waren, blieben die anderen noch eine Weile stehen.
»Schön spielst du, László. Es tut mir so leid, dass ich nicht besser habe zuhören können«, sagte Fürstin Ágnes. »Du spielst wirklich ausgezeichnet.« Und sie tätschelte liebkosend die Wangen des Neffen.
Dann setzte sie hinzu: »Schade, dass es schon so spät ist, und ich bin, weiß Gott, heute entsetzlich müde.«
Sie reichte nun die Hand zum Kuss und stieg die Treppen hoch. Die Mädchen folgten ihr.
Klára blickte bei der Kehre der Stufen – doch erst dort – zu László zurück. Ihre Lippen öffneten sich, als wollte sie etwas sagen. Es dauerte nur einen Augenblick, und dann war sie verschwunden.
Zehn Uhr am Morgen war schon vorbei. László schlief zum ersten Mal so lange. Das Musizieren am Abend zuvor und die beim Fenster der Bibliothek mit Klára zu zweit verbrachten Minuten hatten seine Gedanken in neue Bahnen gelenkt. Verdacht wegen der Montorio-Geschichte mottete immer noch in ihm, doch bereitete er nicht mehr den gleichen Schmerz; andere Motive waren nun aufgetaucht, andere Gedanken beschäftigten ihn seit dem Abend. Was hatte Klára wohl gewollt, als sie neben ihm stand? So langsam hatte sie das Gesicht ihm zugekehrt. Wie fragend sie ihm in die Augen sah! Und wenn er sie da geküsst hätte? Was wäre geschehen? Wäre sie bös geworden? Und dann, beim Klavierspiel, warum setzte sie sich nicht neben ihn, wie sie es sonst immer tat? Warum hielt sie Abstand, warum blickte sie kein einziges Mal auf ihn, sondern nur vor sich hin? Hatte er sie vielleicht beleidigt? Nein! Unmöglich, denn dort bei der Fensternische, da war sie noch … und später, von der Treppe … da schaute sie zurück! Ob ihre stummen Lippen wirklich etwas gesagt hatten? Oder war alles nur Einbildung gewesen? All dies war ihm beim Einschlafen kreuz und quer durch den Kopf gegangen. Am Morgen erwachte er mit den gleichen Gedanken.
Ausgeruht, gut ausgeschlafen, wie er sich im Bett streckte, kam ihm die Welt irgendwie fröhlicher vor. Nach langem Abwägen beschloss er, bis Sonntagabend zu bleiben; bis dahin würde sich doch die eine oder andere Gelegenheit finden … zu vielerlei könnte sich Gelegenheit finden.
Er kleidete sich hastig an, denn er wusste, dass die Mädchen gegen elf Uhr vom Obergeschoss herunterzukommen pflegten. Sobald er fertig geworden war, begab er sich in die Bibliothek. Hier konnte er sich mit Alben beschäftigen, und der zentral gelegene Raum bot Gelegenheit, ohne Aufsehen zu warten; außerdem ließ sich der Garten überblicken, und man hörte auch gleich, wenn jemand die Vorhalle betrat. Er blieb also beim langen Tisch stehen, auf dem in schöner Verzierung gebundene Folianten lagen, und begann zu blättern.
Kirchliche Stille umgab ihn. Die Reihen der Bücher, welche die Wände bedeckten, glänzten geheimnisvoll im Licht, das schräg durch die Türfenster einfiel; winterlich gedämpfter, heller Sonnenschein, der, vom Parkett reflektiert, den Rücken der goldenen Bände von unten beleuchtete. Der Schatten des Laufstegs, der oben rund um den Saal verlief, fiel bei dieser beinahe theatralischen Beleuchtung auf den oberen Stock und reichte höher hinauf zur Kuppeldecke, wo sich die dünnen Stäbe des gusseisernen Geländers in übertriebenen Proportionen abzeichneten. Neben dem gleißenden Licht der
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