Die Schrift in Flammen
Vertrauen missbrauchen und sie nur so, ohne ein erklärendes Wort, jäh und hinterhältig, gewaltsam umarmen sollte; das Mädchen wusste ja nicht, sie konnte nicht wissen und noch nicht einmal ahnen, wie schicksalsschwer, wie schrecklich er in sie verliebt war!
Eine kurze Weile standen sie so nebeneinander. Klára blickte immer noch in Lászlós Augen. Dann wandte sie sich langsam ab, und mit leichten, ein wenig gleitenden Schritten ging sie in den Salon. László folgte ihr. Jetzt, da die Gelegenheit vorbei war, erwachten seine angriffigen Selbstanklagen. Du Esel! Warum hast du sie nicht umarmt? Warum hast du nichts gesagt und sie nicht geküsst? Wo sie doch vielleicht geküsst werden wollte! Oh, du Esel, du feiger Esel! Und du hattest nicht einmal den Mut zum Fragen, nicht einmal das, du Feigling! László kam von diesen Gedanken nicht los.
Nun musste er eine neue Gelegenheit finden, um mit ihr allein zu bleiben. Nach dem Nachtmahl schlug er vor, seine neuesten Kompositionen vorzuspielen. Er begab sich mit Klára in den Musiksaal. Péter und Magda begleiteten sie. Zwischen diesen beiden war seit längerer Zeit so etwas wie ein Cousin-Cousine-Flirt im Gange, eine scherzhafte, ein klein wenig kokettierende Liebelei. Sie nahmen deshalb Lászlós Vorschlag freudig entgegen, und im Musikzimmer angekommen, setzten sie sich gleich in die nächste Ecke zu einer privaten Plauderei. Klára folgte László zum Flügel, nahm aber nicht neben ihm Platz wie tags zuvor, sondern stützte sich ihm gegenüber auf die geschwungene Seite des Instruments und blieb dort stehen. László schlug zur Einleitung einige Akkorde an, dann hob er den Kopf und schaute sie an.
»Spiel«, sagte sie leise, »spiel!« Und sie schloss die Augen.
»Das habe ich aus einer Székler Ballade gemacht«, erklärte László, und er begann.
Es war eine seltsam gedehnte Melodie, deren Thema immer wiederkehrte. Ungewöhnliche, ein wenig dissonante Harmonien, die hin und wieder mit Nonen-Sprüngen in andere Tonarten wechselten. Trotzig wehmütige, sich oft wiederholende Töne, der Reihe nach angeschlagen und lange, beinahe endlos ausgehalten, die, gerade als man sie schon sattzuhaben meinte, in ein sehsüchtiges Schluchzen übergingen, in einen Traum, ein Verlangen oder in Trauer, um dann erneut in die gleiche, monoton klingende Tonreihe zu münden. Zuletzt dann die Frage eines in der Mitte jäh zerbrochenen Akkords.
»Schön. Wunderbar. Bitte noch mehr«, sagte das Mädchen, ohne sich zu rühren.
László spielte zwei weitere Stücke. Zuerst die noch unvollendete Phantasie, die er »Morgendämmerung in Pest« genannt hatte und in der er den Lärm der Wagen der Marktfrauen, das Tuten der Schiffshörner, das Klingeln der Straßenbahn und die Schritte der zur Markthalle eilenden Käufer auszudrücken suchte; es war, nicht zu leugnen, eine etwas närrische, eine recht wilde Musik. Dann folgte eine Komposition ganz anderer Art, ein sehr langsames, verhüllt sinnliches Notturno, in dem die im schmerzlich gedehnten Legato versteckte Sehnsucht – als spannte das höher und höher steigende Thema die Nerven unentwegt, bis zum Zerreißen – zuletzt in verhaltenen, immer leiseren Pianissimi erstarb.
Es war eine neuartige und grausame Musik, von viel mehr Schmerz erfüllt, als wenn lauter süß-traurige Molltöne darin geseufzt hätten. Er hielt nach jedem Stück inne und blickte Klára an, sie aber sagte stets nur: »Spiel!« Und sie verharrte reglos, die glatten Arme, die Ellbogen auf den Flügel gestützt, wodurch die nackten Schultern über der Mädchenbrust eine Spur aus dem Kleid schlüpften. Sie stand mit beinahe ganz geschlossenen Augen. Die Wimpern zeichneten bläuliche Schatten auf ihr Gesicht. Ihre Lippen glänzten blutrot. Sie schien der Musik im Traum zu lauschen und jeweils kaum zu erwachen, wenn sie das eine Wort – »Spiel!« – wiederholte.
László stimmte nun einen Siebenbürger Schuhplattlertanz an:
»Hätt’ ich einen kleinen Teufel,
Ich sperrt’ ihn in den Käfig.
Sollte er wild um sich schlagen,
Ich schüttelt’ ihn doch ewig …«
Hie und da sprach er auch den Text mit, und er variierte die spaßige Weise in rasendem Takt kreuz und quer. Er ließ sie in allen Lagen, der oberen, der tiefen, in der mittleren, auf der ganzen Klaviatur unbändig lachen, schnitt sie zum Ärger der Zuhörer entzwei, flickte die Teile wieder zusammen, da und dort rutschte er jäh mit Glissandi hinein, und unten dröhnte unter seiner Hand eine so
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