Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Ansicht angemessenen Lohn, kümmerte sich um die ärztliche Versorgung, hielt immer sein Wort und schickte auch während der großen Depression nie einen Bedürftigen fort, der vor seiner Tür stand.
Als kleiner Junge hatte ich ihn oft gesehen, wenn mich mein Vater in Provost’s Bar and Pool Room mitnahm. Mr. Julian, wie wir ihn nannten, war ein dunkelhaariger, gut aussehender Mann mit einem Grübchen im Kinn, der stets einen Leinenanzug mit Hosenträgern, einen Panamahut und zweifarbige Schuhe trug, wie die Amerikaner, die man im Kino beim Pferderennen in Kuba sah. Er setzte sich nie an die Bar, sondern blieb immer stehen, hatte in der einen Hand eine Zigarre, in der anderen ein Glas Bourbon mit Eis. Am Samstagnachmittag war Provost’s Bar immer voller Geschäftsleute und Arbeiter, und der mit grünem Sägemehl bestreute Boden war zeitweise mit Football-Wettkarten übersät. Mr. Julian behandelte alle Gäste mit der gleichen Hochachtung, spendierte Getränke für die alten Männer an den Domino- und Bouree-Tischen und ging weg, wenn andere Männer rassistische Sprüche abließen oder derbe Witze erzählten. Er war wohlhabend und gebildet, aber seine freundliche, gutmütige Art erweckte bei anderen eher Bewunderung als Neid.
Es gab Geschichten über seine Beziehungen zu schwarzen Frauen, insbesondere zu einer, aber stets fand sich jemand, der rasch einwandte, dass Mr. Julians Frau an Krebs und anderen Gebrechen leide und in einem Sanatorium im Norden gewesen sei, und bei der Messe habe sie sich derart hysterisch aufgeführt, dass sogar ein mitleidiger Priester sie widerwillig gebeten habe, nicht mehr am Gottesdienst teilzunehmen. Wer konnte denn erwarten, dass Mr. Julian so etwas ertrug, wenn nicht einmal die Kirche dazu bereit war?
Aber Batists Schwester begann ihre Geschichte nicht mit Mr. Julian. Stattdessen erzählte sie von einem Aufseher auf Poinciana Island, einem schlanken, knochigen Mann mit grober Haut, der stets eine Sonnenbrille, Cowboystiefel, einen Cowboyhut aus Stroh und Khakikleidung trug, wenn er auf seinem Pferd saß und zwischen den schwarzen Arbeitern auf den Feldern hindurchritt. Das war im Jahr 1953, zu einer Zeit, als ein weißer Aufseher auf einer Plantage in Louisiana die gleiche Macht über die ihm Anvertrauten hatte wie seine Vorgänger vor dem Bürgerkrieg. Niemand wusste, woher er stammte, aber er hieß Legion, und an dem Tag, an dem er das erste Mal auf dem Feld auftauchte, schaute ein Arbeiter, der als Sträfling auf der Farm in Angola gearbeitet hatte, in Legions Gesicht, lehnte bei der erstbesten Gelegenheit seine Haue an eine Zaunstange, lief sieben Meilen weit bis New Iberia und kehrte nie wieder zurück, nicht einmal, um seinen ausstehenden Lohn zu verlangen.
»Legion hieß er, sagen Sie?«, fragte ich Batists Schwester.
»Den Namen hat er uns genannt. Hatte keinen Vornamen und auch keinen Zunamen. Wir mussten ihn nicht mal ›Mister‹ nennen. Bloß Legion«, erwiderte sie.
Er glaubte, dass Kleidung die Hitze vom Körper fernhielt und knöpfte sein langärmliges Hemd stets bis zum Kragen zu, egal, wie schwül und drückend es wurde. Bis Mittag war der Rücken seines Hemdes mit Schweißflecken gesprenkelt, und während die Schwarzen in einem Tupelowäldchen ihre Sandwiches mit Mortadella und Dosenfleisch aus dem Plantagenladen aßen, band er sein Pferd unter einer Eiche mitten auf dem Pfefferfeld an und setzte sich auf einen Klappstuhl, den ein Schwarzer eigens zu diesem Zweck anschleppte. Er aß den Boudin oder die Schweinekoteletts mit ungeschältem Reis, die, wie die Schwarzen sagten, eine Prostituierte aus Hattie Fontenots Bar jeden Morgen für ihn zubereitete und in Wachspapier einwickelte.
Er nahm sich die Mädchen und Frauen, die er wollte, vom Feld, bedeutete ihnen mit einem Kopfnicken, dass sie seinem Pferd in ein Röhricht oder Kieferndickicht folgen sollten, wo er aus dem Sattel stieg, sich nackt auszog und dem Mädchen oder der Frau befahl, ihre Unterhose abzustreifen, sich hinzulegen und die Beine breit zu machen, drückte sich dabei so gefühllos, unmenschlich und brutal aus, wie er den Akt mit ihnen vollzog und seine Lust an ihnen stillte, wenn er in sie stieß, den Oberkörper mit steifen Armen abgestützt, als wollte er sie nicht mehr berühren, als unbedingt notwendig war.
Hinterher musste ihn das Mädchen oder die Frau waschen. Sein Körper war rau wie Tierhaut, sagten sie, voller wulstiger Messernarben, und die Innenseiten seiner Unterarme waren mit
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