Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
verhangenen Eichen schien, verübeln, dass sie an einem Fest teilnehmen wollten, bei dem es letzten Endes darum ging, dass wir alle unser Bestes gaben?
Jimmy Dean Styles trug einen Turnanzug aus schwarzem Spandax, der ihm wie eine zweite Haut aus glänzendem Plastik am Leibe saß. Drei seiner Rapper rannten neben ihm her, die Haare orange, blau und lila gefärbt, glitzernde Ringe durch Nase und Augenbrauen gezogen. Hinter ihnen sah ich Marvin Oates, den Vertreter, der mit Bibeln und Lexika hausieren ging; er hatte ein nasses Schweißband um die Haare geschlungen, die braune Haut spannte sich straff wie ein Lampenschirm über Rippen und Rückenwirbel, und die rote Turnhose klebte an seinem Leib, dass sich die Ritze zwischen seinen Hinterbacken abzeichnete.
Nachdem die Läufer an dem alten, aus Ziegeln gebauten Feuerwehrhaus vorbeigekommen und in eine Nebenstraße abgebogen waren, die durch eine Wohngegend führte, fuhrwerkte eine der Zeichenschülerinnen wie wild auf ihrem Block herum, hatte den Kopf fast auf das Blatt gebeugt und gab knirschende Laute von sich, die aus tiefster Kehle kamen.
»Was ist denn los, Rosebud?«, fragte die Zeichenlehrerin.
Doch die junge Schwarze, deren Name Rosebud Hulin war, antwortete nicht. Sie kritzelte weiter auf dem Blatt herum, ließ dann den Kohlestift fallen, fing am ganzen Körper an zu zittern und schlug mit den Fäusten auf den Tisch ein.
Nach dem Rennen fuhr ich nach Hause, duschte mich und kehrte dann mit Alafair und Bootsie zum Flusskrebsessen in den City Park zurück. Die Zeichenlehrerin, eine Nonne, die ehrenamtlich in der Stadtbibliothek arbeitete, entdeckte mich beim Picknickpavillon neben dem Zeughaus der Nationalgarde, nicht weit von der Stelle entfernt, an der vor vielen Jahren ein Mann namens Legion einem zwölfjährigen Jungen sein offenes Messer vorgehalten hatte.
»Könnten Sie ein Stück mit mir spazieren gehen?«, fragte sie und zeigte auf ein Gehölz beim Zeughaus.
Sie war eine attraktive, in sich ruhende Frau um die Sechzig, die andere normalerweise nicht mit ihren Sorgen behelligte oder sich mit Ungereimtheiten abgab, über die der Mensch ihrer Ansicht nach am Ende doch nicht befinden konnte. Sie hatte ein großes, zusammengerolltes Zeichenblatt in der Hand und lächelte betreten. »Was gibt’s, Schwester?«, sagte ich, als wir allein waren.
»Kennen Sie Rosebud Hulin?«, fragte sie.
»Tee Bobbys Zwillingsschwester?«, erwiderte ich.
»Sie ist autistisch, aber hoch begabt. Sie kann ein Foto oder Gemälde, das sie nur einmal gesehen hat, in allen Einzelheiten wiedergeben, auch noch Jahre später. Aber sie hat noch nie ein Bild gemalt, das sie sich selbst ausgedacht hat. Es ist, als ob sie etwas sieht, in Handbewegungen umsetzt und zu Papier bringt.«
»Da komme ich nicht ganz mit.«
»Heute Morgen hat sie dieses Bild gemalt«, sagte die Lehrerin und rollte die Kohlestiftzeichnung auf.
Ich starrte auf den weiblichen Akt, den sie mir zeigte – eine nackte Frau, die auf dem Rücken lag, die Arme über den Kopf gereckt hatte, die Hände über Kreuz hielt und eine Dornenkrone um die Stirn trug. Sie hatte den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen, wie die Gestalt auf dem berühmten Gemälde von Edvard Munch. Die Augen waren riesengroß, in die Breite gezogen, als erstreckten sie sich um den halben Kopf, voller Verzweiflung.
Im Vordergrund standen zwei abgestorbene Bäume, deren Äste wie scharfe Spieße aufragten.
»Die Augen erinnern ein bisschen an Modigliani, aber ich habe noch nie ein Bild gesehen, von dem Rosebud so etwas abgemalt haben könnte«, sagte die Zeichenlehrerin.
»Warum zeigen Sie mir das, Schwester?«
Sie blickte auf den Rauch, der von den Feuerstellen durch die Bäume trieb.
»Ich bin mir nicht sicher. Aber vielleicht bin ich mir auch nur nicht sicher, ob ich es sagen möchte. Ich musste Rosebud zur Toilette bringen und ihr das Gesicht waschen. Dieses lammfromme Mädchen wollte mich schlagen.«
»Hat sie Ihnen erklärt, warum sie das Bild gemalt hat?«
»Sie sagt immer, die Bilder, die sie malt, werden ihr von Gott eingegeben. Das hier stammt meiner Meinung nach irgendwo anders her«, sagte die Zeichenlehrerin.
»Darf ich es behalten?«, fragte ich.
Am Montag rief ich bei Ladice Hulin auf Poinciana Island an und fragte, ob ich Tee Bobby sprechen könnte.
»Der is auf der Arbeit«, sagte sie.
»Wo?«, fragte ich.
»Im Carousel Club in St. Martinville.«
»Das ist doch Jimmy Dean Styles’ Laden. Styles hat mir gesagt,
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