Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Bobby sah aus wie jemand, der von den Toten auferstanden war. Vielleicht stand er auch wieder unter Speed oder H und hatte sich nur eine kurze Galgenfrist erkauft, ehe ihn wieder die Gier packte, die Tag für Tag rund um die Uhr an ihm zehrte. Aber ich war mir nicht sicher. Er trug eine Sonnenbrille und einen purpurroten Fedora, ein langärmliges schwarzes Hemd mit Ärmelhaltern, beige Wildlederstiefel und eine lavendelfarbene Hose, die unten ausgestellt und mit Blumen bestickt war. Nach dem ersten Stück spielte er zwei weitere Nummern, allgemein bekannte Rock ’n’ Roll-Stücke, bei denen es keine großen Soli gab und die ihm anscheinend nicht weiter wichtig waren. Dann nahm er die Gitarre ab und ging zum Bierstand.
»Was war das für ein Stück, das Sie am Anfang gespielt haben«, sagte ich, als ich hinter ihm stand.
Er drehte sich um und setzte den Bierbecher ab. »›Jolie Blon’s Bounce‹. Ich hab’s grade erst geschrieben. Hab’s noch nie vor Publikum ausprobiert. Anscheinend is keiner richtig drauf abgefahren«, sagte er.
»Es ist großartig.«
Er nickte. Die Menschen rundum spiegelten sich in seiner Sonnenbrille, dazu das dichte Laub der immergrünen Eichen.
»Jimmy Dean sagt, er nimmt vielleicht ’ne Demo von mir nach L. A. mit. In ein paar Clubs da drüben is aufgemotzter Zydeco schwer angesagt«, sagte er.
»Jimmy Dean ist ein Schmarotzer. Der müsste Ihnen die Schuhe putzen.«
»Wenigstens hat er mich nicht mitten in der Nacht bei ’nem Obdachlosenasyl abgesetzt.«
»Machen Sie’s gut«, sagte ich.
»Meinetwegen können Sie mir zusetzen so viel Sie wollen. Sie können mir nix anhaben. Ich hab den Lügendetektortest bestanden«, sagte er.
Er wandte sich zur Bühne, kippte sich das Bier in den Mund, dass ihm der Schaum zu beiden Seiten übers Kinn lief, und schaute stur nach vorn, als hätte er sich die Augen liften lassen.
Ich hätte ihm am liebsten eine reingehauen, weil er so blöde und selbstzufrieden war.
Als ich mich wieder durch die Menschenmenge drängte, um Bootsie und Alafair zu suchen, stieß ich mit dem Vater von Amanda Boudreau zusammen. Sein Leib war hart, und er wich nicht einen Schritt zurück, starrte mich unverwandt durch seine Drahtgestellbrille an. Seine Frau hatte sich bei ihm untergehakt, und die beiden wirkten wie eine Insel des Grams, die niemand wahrnahm.
»Entschuldigen Sie, ich habe nicht aufgepasst«, sagte ich.
»Das war Bobby Hulin, mit dem Sie geredet haben, nicht wahr?«, sagte Mrs. Boudreau.
»Ja, Ma’am. Ganz recht«, sagte ich.
»Er ist hier, gibt ein Konzert, und der Mann, der sich dafür einsetzen sollte, dass unserer Tochter Gerechtigkeit widerfährt, plaudert mit ihm beim Bierstand. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie mir zumute ist. Sie müssen mich entschuldigen« , sagte sie und ließ den Arm ihres Mannes los, holte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und ging mit raschen Schritten zum Rande des Parks.
»Haben Sie eine Tochter, Mr. Robicheaux?«, fragte ihr Mann.
»Ja, Sir. Sie heißt Alafair«, erwiderte ich.
Er rückte mit dem Daumen seine Brille zurecht. »Sie müssen meine Frau entschuldigen. Ihr geht’s nicht allzu gut. Und ich mache es ihr vermutlich nicht leichter. Ich hoffe, Ihre Tochter hat ein herrliches Leben. Ich wünsche es wirklich, Sir.«
Damit ging er weg, hinkte wie ein Mann, dem auch die Gicht keinen Frieden schenkt.
In dieser Nacht hatte ich Suffträume und wachte um zwei Uhr morgens auf, aufgedreht, mit trockenem Mund und einem Geräusch in den Ohren, das von nirgendwo kam. Ich konnte mich nicht mehr an die Bilder erinnern, die ich geträumt hatte, nur an das unsägliche Gefühl, das sie hinterlassen hatten.
Als wäre man mit Ohrfeigen geweckt worden, obwohl niemand anders im Zimmer war. Als träte man unverhofft von einer Riffkante im Golf und versänke in einem Abgrund voller Kälte und flossenbewehrter Wesen mit rauer Haut, deren Fratzen einen aus dem Schlick anglotzen.
Ich ging in die Küche und saß in der Dunkelheit, in der nur die Leuchtziffern meiner Armbanduhr schimmerten. Die Vorhänge bauschten sich um eine Flasche Vanilleextrakt, die im Mondschein auf dem Fensterbrett stand. In der Ferne hörte ich einen Zug, und ich dachte an den alten Southern Pacific, in dessen Salonwagen die Fahrgäste an der Bar sitzen und an ihren Highballs nippen konnten, während sie von der Lokomotive sicher durch die Dunkelheit zu einem fantastischen Land mit blauen Bergen, Palmen und rosigen Sonnenaufgängen gezogen
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