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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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der anderen, benutzte sie, um meine eigene auf Abstand zu halten. Die Tahtaha lockerte den eisernen Griff der Schraubzwingen, die mich umklammert hielten. Ihre wogende Menge lenkte mich ab. Der Tanz der Wasserverkäufer besänftigte meine Migräne. Sie waren fabelhaft, diese Wasserverkäufer, zäh wie Ziegenleder und von hohem Unterhaltungswert. Mitsamt ihren klingenden Schellen, ihrem Wasserschlauch am Schulterriemen und ihren hohen farbenfrohen Hüten drehten sie sich in ihren mit Troddeln besetzten Gewändern um sich selbst und gossen frisches, mit einem Spritzer Kadeöl versetztes Wasser in die Messingbecher, die die Schaulustigen in einem Zug leerten, als wär’s ein Zaubertrank. Ich ertappte mich dabei, wie ich schluckte, wenn der Durstige sich labte, lächelte, wenn der Wasserverkäufer ein, zwei Tanzschritte tat, und die Stirn runzelte, wenn ein zahlungsunwilliger Kunde ihm die gute Laune verdarb …
    »Alles in Ordnung?«, schreckte der Ober mich auf.
    Nichts war in Ordnung …
    Und außerdem, wieso ließ man mich nicht in Ruhe?
    Der Ober schaute mich fassungslos an, als ich ungehalten aufstand und ging. Erst in der europäischen Stadt begriff ich, warum: Ich war gegangen, ohne zu zahlen …
    In einer von Zigarettenkippen, die im Aschenbecher einsam vor sich hin qualmten, vernebelten Bar starrte ich auf mein Glas, das mich höhnisch vom Tresen anblitzte. Ich wollte mich bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen – ich fühlte mich unwürdig, der Versuchung zu widerstehen. Wohl zehn, zwanzig, dreißig Mal hatte meine Hand schon das Glas berührt, aber nicht gewagt, es an meine Lippen zu führen. »Haste mal ’ne Fluppe für mich?«, fragte mich die Frau, die neben mir saß. »Wie bitte?« – »So’n hübscher Junge hat kein Recht, traurig zu sein!« Ihr alkoholisierter Atem gab mir den Rest. Ich war völlig ausgelaugt, sah nur noch verschwommen. Die Frau war gesichtslos vor lauter Schminke. Ihre Augen verschwanden hintergrotesken falschen Wimpern. Ihr großer Mund war übertrieben rot, ihre Zähne vom Nikotin zerfressen. »Probleme, mein Süßer? Na, warte nur, das kriegen wir schon hin. Der liebe Gott hat mich zu dir geschickt.« Sie schob ihren Arm unter meinen, riss mich mit einem Ruck vom Tresen weg. »Komm … hier haste nix verloren …«
    Sieben Tage und sieben Nächte lang hielt sie mich fest. In einem schmuddeligen Zimmer in der obersten Etage eines Funduks, in dem es überall nach Bier und Haschisch stank. Ich wüsste nicht zu sagen, ob sie blond oder braun, jung oder alt, dick oder dünn war. Ich erinnere mich nur an ihren großen roten Mund und ihre heisere, von Tabak und billigem Fusel ramponierte Stimme. Eines Abends teilte sie mir mit, ich hätte jetzt genug für mein Geld bekommen. Sie schob mich zur Tür, küsste mich auf den Mund – »Geschenk des Hauses!« – und gab mir, bevor sie mich in die Freiheit entließ, noch dies mit auf den Weg: »Hör auf zu jammern, mein Junge. Es gibt nur einen Gott auf Erden, und der bist du. Wenn dir die Welt nicht gefällt, denk dir eine neue aus, und lass nicht zu, dass der Kummer dich von deiner Wolke holt. Das Leben lächelt dem zu, der es ihm mit gleicher Münze heimzahlt.«
    Es ist schon seltsam, wie uns manche Wahrheiten mitunter an Orten einholen, die kaum dafür geschaffen scheinen. Ich stand auf der Kippe, und ausgerechnet eine angesäuselte Prostituierte richtete mich wieder auf. Mit nichts als ein paar dahingeworfenen Worten zwischen zwei Zigarettenzügen auf der Schwelle eines versifften Zimmers, das auf einen dunklen, verdreckten Gang hinausging. In einem Stundenhotel, das von orgiastischen Krämpfen und titanischen Kämpfen geschüttelt wurde. Nahezu ausgenüchtert kam ich unten in der Eingangshalle des Funduks an. Der leichte Abendwind tat ein Übriges. Ich lief die Meerespromenade entlang und betrachtete die Schiffe im Hafen, die Kräne und Kais im Flutlicht der Scheinwerfer, und weit hinten in der Nacht die Fischkutter, die über die Wogen flogen wie Glühwürmchen, die es mit den Sternen aufnehmenwollen; dann suchte ich mir einen Hammam, um allen Unrat von mir abzuschrubben und den Schlaf des Gerechten zu schlafen; am nächsten Tag nahm ich in aller Frühe den Omnibus nach Río, fest entschlossen, mir das Herz mit nackten Händen aus dem Leib zu reißen, sollte ich mich je dabei ertappen, auch nur eine Sekunde über mein Schicksal zu jammern.
    Ich nahm die Arbeit in der Apotheke wieder auf. Sicher leicht verändert, aber

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