Die Schuld wird nie vergehen
dich.«
»Bist du glücklich, Vanessa?« »Das ist eine sehr persönliche Frage, Carl. Früher hätte ich dir eine Antwort darauf gegeben, aber das ist schon lange her. Ich glaube, jetzt kennen wir uns dafür nicht mehr gut genug.«
Carl hatte nicht erwartet, dass er noch so starke Gefühle für Vanessa empfand. »Ich weiß, dass ich dich verletzt habe, aber das ist schon lange her. Ich würde dich gern neu kennenlernen.«
»Du bist ja jetzt mit mir zusammen, stimmt's?« fragte sie.
Carl und Vanessa aßen ein oder zweimal im Monat in der Nähe des Bürogebäudes des Kongresses zusammen. Manchmal holte er sie auch abends von der Uni ab, und sie tranken einen Kaffee zusammen. Sie trafen sich jedoch eher unregelmäßig, und es waren auch mehr zwanglose Treffen als Verabredungen. Manchmal war Carl verlockt weiterzugehen, aber das Zusammensein mit Vanessa weckte Konflikte in ihm. Wenn sie zusammen waren, brannte er für sie, aber gleichzeitig kämpfte er mit seinem schlechten Gewissen, weil er ihr nicht erzählt hatte, dass er noch für ihren Vater arbeitete und sie außerdem über die wahre Natur seiner Arbeit im ungewissen ließ. Zudem hatte er das unangenehme Gefühl, dass er den General hinterging, weil er ihm nicht gesagt hatte, dass er sich mit seiner Tochter traf. Nicht, dass er viele Gelegenheiten gehabt hätte, mit Morris Wingate zu sprechen. Seitdem er der Einheit beigetreten war, hatte er Wingate nur noch selten gesehen. Der General hatte ihm erklärt, wie gefährlich es für jedes Mitglied der Einheit war, mit ihm gesehen zu werden. Es gab überall Spione.
Carl hatte eine Weile sogar mit dem Gedanken gespielt, die Einheit zu verlassen. Er riskierte nun seit mehr als zehn Jahren sein Leben, und vielleicht wurde er allmählich zu alt dafür. Wenn er jetzt aufhörte, konnte er einen Lehrauftrag an einer Universität bekommen. Vielleicht würde Vanessa ihn dann heiraten. Sie könnten sich irgendwo niederlassen, Kinder bekommen, und sie konnte ihren interessanten Beruf ausüben. Es wäre eine ruhige Existenz, aber Carl konnte sich vorstellen, sich an ein Leben mit zwei Kindern, einem Hund und einem Haus in der Vorstadt mit einem weißen Gartenzaun zu gewöhnen. Er redete sich sogar ein, dass er von der Hölle ins Paradies umziehen könnte, ohne dass Vanessa von seinem geheimen Leben erfuhr.
Das hartnäckige Klopfen an ihrer Wohnungstür riss Vanessa aus tiefstem Schlaf. »Ich komme ja schon!« rief sie, während sie sich ihren Morgenmantel überwarf. Als sie durch das Guckloch schaute, sah sie Carl Rice im Flur stehen. Seit fast drei Wochen hatte sie ihn nicht mehr gesehen oder mit ihm telefoniert.
»Bitte, Vanessa, mach auf!« bat Carl, nachdem er noch einmal geklopft hatte. Sie wollte nicht, dass er ihre Nachbarn weckte, also öffnete sie die Tür. Carl stolperte herein. Er war unrasiert, seine Kleidung sah aus, als hätte er darin geschlafen, und er hatte einen wilden Ausdruck in den Augen.
»Was willst du, Carl?« fragte Vanessa.
»Ich muss mit dir reden.«
»Jetzt? Es ist nach Mitternacht. Kann das nicht bis morgen warten?«
»Tut mir leid. Ich weiß, dass es spät ist, aber ich habe keine Ahnung, was ich tun soll.«
Vanessa schaute ihren Besucher scharf an. Carl wirkte eindeutig verzweifelt.
»Inwiefern?«
»Kann ich mich setzen?« fragte Carl. »Ich bin vollkommen fertig. Ich habe seit Tagen nicht mehr geschlafen.«
Vanessa trat zur Seite. Carl ließ sich auf die Couch fallen und legte den Kopf in den Nacken.
»Ich kann es nicht mehr«, sagte er. »Ich muss da raus.«
»Wo raus?« »Ich habe dich belogen«, erklärte er. »Ich konnte dir einfach nicht die Wahrheit sagen, also habe ich dich belogen, aber das will ich nicht mehr. Du sollst wissen, wer ich bin. Ich bin ein Killer. Ich morde für deinen Vater, und ich will damit aufhören.«
Vanessa stockte der Atem.
»Du bist die einzige Person, die das überhaupt verstehen kann«, sagte Carl.
»Was soll ich verstehen?«
»Ich habe schreckliche Dinge getan.«
»Und jetzt willst du von mir Absolution?«
»Dafür ist es längst zu spät.«
Vanessa bekam Angst. Ihr Vater hatte sie immer mit Allgemeinplätzen abgespeist, wenn sie wissen wollte, was die AIDC machte, und ihr nie erzählt, was er wirklich tat. Natürlich hegte sie einen Verdacht. Warum ließ er sich auf Schritt und Tritt von bewaffneten Leibwächtern begleiten?
»Ich war so glücklich, nachdem wir uns wieder getroffen haben«, erzählte Carl. »Ich dachte, ich könnte mit dir
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