Die Schule der Nacht
sein muss.«
»Das ist es nicht«, sagte April. »Ich… keine Ahnung, das kommt mir alles auf einmal so… so absurd vor, verstehst du? Ich wünsche mir nichts mehr, als mir wieder wie früher den Kopf über Neil und Miranda zerbrechen zu können, aber alles erscheint mir plötzlich so fremd und so weit weg.«
»Das ist doch nur normal, schließlich baust du dir gerade ein neues Leben auf«, sagte Fiona.
»Damit hat es noch nicht einmal so viel zu tun, sondern eher mit den seltsamen Dingen, die mir hier passiert sind.«
»Zum Beispiel die Sache mit den Partyfotos?«
April fuhr sich erschöpft durch die Haare. »Ja, auch, aber nicht nur. Es ist so viel passiert – die Morde an Alix, Isabelle Davis und meinem Vater, dann die Tatsache, dass Milo mit dieser mysteriösen Krankheit im Krankenhaus liegt… die Sache mit Gabriel und dass ich nicht weiß, welche Rolle er bei all dem spielt, und jetzt hab ich auch noch dieses Vampirbuch entdeckt, in dem ziemlich interessante Dinge stehen. Aber ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.«
»Moment mal«, hakte Fiona stirnrunzelnd nach, »spul noch mal ein Stück zurück. Milo? Das ist doch der Typ von der Party, oder? Und der liegt im Krankenhaus? Warum? Und was ist mit Gabriel, und von welchem Vampirbuch redest du? Na los, erzähl schon!«
April musste lächeln, als ihr klar wurde, dass Fiona das alles ja gar nicht wissen konnte. Früher hatte sie immer jeden Gedanken und jede Erfahrung sofort mit ihr geteilt, aber seit sie in London lebte, war so viel passiert, dass sie es einfach nicht geschafft hatte, ihre Freundin immer auf dem Laufenden zu halten. Erst in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie sich das letzte Mal unmittelbar nach der Party länger unterhalten hatten – in der vergangenen Woche hatte sie ihr Handy meistens ausgeschaltet gehabt. Sie holte tief Luft und informierte Fiona nachträglich über alles, was passiert war: den Streit mit Layla in der Cafeteria, das Gespräch mit Inspector Reece im Pub, wie es mit Gabriel weitergegangen war und dass sie nicht wusste, ob sie ihm trauen konnte, über das Notizbuch ihres Vaters, das sie gefunden hatte, und ihren Besuch in Mr Gills Buchhandlung.
»Das ist ja unglaublich.« Fiona sah sie mit großen Augen an. »Los, lass uns gleich mal einen Blick in das Notizbuch werfen«, sagte sie aufgeregt.
April zog es unter ihrer Matratze hervor. Sie hatte die teilweise kaum leserlichen Einträge mühsam entziffert und mittlerweile so oft durchgelesen, dass sie sie fast auswendig konnte. Die Mehrzahl der Einträge schien sich in zwei Themenbereiche zu gliedern: verschiedene Sichtungen von angeblichen Vampiren in Highgate, insbesondere in den Sechziger- und Siebzigerjahren, sowie – und das war der für sie spannendere Teil – die Nachforschungen ihres Vaters zur Ravenwood School. Vor allem eine Notiz hatte sie aufmerken lassen: »Regent = Ravenwood? Nah.«
»Der Vampir-Regent« war Gegenstand eines der Kapitel des Buches, das Mr Gill gestern Abend freundlicherweise für sie zusammengefasst hatte. Der alte Mann hatte eindeutig seine Berufung verfehlt – er hätte einen fantastischen Lehrer abgegeben –, so lebendig und eindringlich hatte er wiedergegeben, worum es in dem Buch ging. Unter anderem war der Autor der Ansicht, dass es in London drei Vampirnester gegeben hatte – in Highgate, in Covent Garden und in Spitalfields –, über die eine Art allmächtiger Supervampir herrschte, der Vampir-Regent genannt worden war. Mr Gill hatte betont, dass es sich dabei lediglich um einen Mythos handelte und dass der Autor möglicherweise unter dem Einfluss von Gin gestanden oder an den gehirnerweichenden Folgen einer nicht ausgeheilten Syphilis (oder beidem) gelitten hätte. Dennoch schien der alte Buchhändler nicht vollkommen auszuschließen, dass der Mythos auf einem wahren Kern beruhen könnte. Das und die Tatsache, dass ihr Vater diese Gerüchte offenbar sehr ernst genommen hatte, waren Anstoß genug für April gewesen, weiter nachzuforschen. Sie wusste zwar immer noch nicht, ob er selbst das Buch von Kingsley-Davis gelesen hatte, aber vieles in seinen Aufzeichnungen deckte sich mit dem, was in dem Buch stand: der Regent, die Nester und die Verbindung zu Highgate.
»Was, glaubst du, bedeutet ›Nah‹? Dass der Vampir-Regent – vorausgesetzt es gibt ihn – sich irgendwo hier in der Nähe aufhält? Zum Beispiel in Highgate?«, fragte Fiona schaudernd.
»Das hab ich mich auch schon gefragt«, sagte April.
Weitere Kostenlose Bücher