Die Schule der Nacht
darf.«
»Nicht nötig«, entgegnete April heftig. »Mein Vater ist tot, und ich muss herausfinden, wer ihm das angetan hat. Verstehst du nicht, Fee? Ich habe neben ihm gekniet, während er starb. Ich hatte überall sein Blut an mir«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. »Die Polizei tappt immer noch völlig im Dunkeln – ich kann einfach nicht anders, als meinen Teil dazu beizutragen, dass der Mörder gefunden wird, sonst drehe ich durch. Außerdem habe ich Angst, dass noch mehr Menschen sterben könnten.«
Fiona griff nach ihrer Hand und drückte sie. »Okay, meine Süße, okay. Ich hab’s kapiert und ich werde dir helfen. Aber wir müssen wahnsinnig vorsichtig sein, hast du gehört? Keine tollkühnen Heldentaten.«
April nickte. »Versprochen.«
»Und noch was…«
»Was?«
»Wenn wir hier ›Scooby-Doo‹ spielen, bin ich Daphne.«
Sechsundzwanzigstes Kapitel
D as Wetter passte perfekt zu einer Beerdigung. Der Himmel war wolkenverhangen, ein feiner Nieselregen hatte eingesetzt, und ein kalter Wind wirbelte die letzten Herbstblätter durch die Luft. Sie verließen mit gebeugten Schultern das Haus, gingen langsam um den Platz herum und überquerten die South Grove. Wie April es vermutet hatte, kannte sie kaum einen der Menschen, die ihnen auf dem kurzen Weg zur St. Michaels Church folgten – alle schwarz gekleidet, mit ernster, ehrerbietiger Miene, manche mit einem Taschentuch in der Hand, um sich die Tränen von den Wangen zu tupfen. April konnte nicht weinen. Noch immer fühlte sich die ganze Situation unwirklich an. Doch als sie dann am Ende des Mittelgangs in der Kirche den mit Blumen bedeckten Sarg sah, spürte sie plötzlich, wie ihre Knie nachgaben.
»Geht es?« Fiona hakte sich bei ihr unter und drückte ihre Hand. Seit ihrer Ankunft heute Morgen war sie ihrer Freundin nicht von der Seite gewichen, und dafür war April ihr unendlich dankbar.
Sie nickte und nahm in der ersten Bankreihe neben ihrer Mutter und ihrem Großvater Platz. Die Zeit schien stillzustehen, als der Pfarrer zu der Gedenkrede ansetzte, den Humor ihres Vaters rühmte, sein Engagement und seine Hingabe als Vater und Ehemann. Er sprach über ihn, als wäre er ein alter Freund von ihm. Doch alles, was April denken konnte, war: Du kanntest ihn doch überhaupt nicht. Er war mein Vater. Mein Vater. Er hat mich geliebt. Wie ferngesteuert folgte sie der Zeremonie, sprach die Gebete mit, stimmte in die Choräle mit ein, nahm aber alles nur am Rande wahr, als würde sie aus großer Entfernung einen eigenartigen Film verfolgen. Wie konnte es nur sein, dass ein Mann, der so voller Leben und Begeisterungsfähigkeit gewesen war, nun tot im Sarg lag? Als der Trauergottesdienst zu Ende war, traten alle hinaus und stiegen in glänzende schwarze Limousinen, die in einer Reihe vor der Kirche darauf warteten, sie die kurze Strecke bis zum Friedhof zu bringen. April war froh, dass die Swain’s Lane eine Einbahnstraße war, weshalb sie eine Schleife um den West Hill fahren mussten, sodass ihr der Weg an den anderen Gräbern vorbei erspart blieb. Den Blick starr auf das Seitenfenster gerichtet, beobachtete sie, wie der Regen gegen die Scheibe schlug und die Tropfen sich zu kleinen Rinnsalen formierten, die in Schlangenlinien am Glas hinunterliefen. Schließlich bogen der Leichenwagen und die ihm folgenden Autos durchs Tor und parkten direkt dahinter. April stieg aus und atmete die kalte Luft ein.
Wieder war Fiona sofort an ihrer Seite und schob den Arm unter ihren. Sie nickte ihr mit einem kleinen Lächeln ermutigend zu. »Du schaffst das«, flüsterte sie. »Deinem Dad zuliebe.«
April nickte. Sie musste auch für ihre Mutter stark sein. Silvia war nur mehr ein Schatten ihrer selbst und konnte sich kaum auf den Beinen halten, ihr Atem ging zitternd und stoßweise. Aprils Großvater hatte einen Arm um sie gelegt und musste sie bei jedem Schritt stützen. Der Pfarrer trat zu den beiden, sagte ein paar Worte zu ihrer Mutter und kam dann auf die beiden Mädchen zu. Er hatte ein rundliches Gesicht mit roten Apfelbäckchen, und in seinen Augen lag ein gütiger Ausdruck.
»Mein aufrichtiges Beileid, April«, sagte er. »Ihr Vater war ein guter Mann.«
April dankte ihm mit einem Nicken.
»Ich habe die Gespräche mit ihm immer sehr genossen«, sagte der Pfarrer, und als er ihren verwirrten Gesichtsausdruck sah, fügte er mit einem kleinen Lächeln hinzu: »Wahrscheinlich hat er es Ihnen gegenüber gar nicht erwähnt, aber er hat mich hin und
Weitere Kostenlose Bücher