Die Schule der Nacht
Zeit gelernt, auf der Hut zu sein. Schließlich kannte sie diese Frau kaum und konnte sich nicht im Mindesten vorstellen, wie die Hilfe aussehen sollte, die sie ihr anbot.
»Tut mir leid, ich verstehe immer noch nicht, wovon Sie sprechen«, wiederholte sie so gelassen wie möglich.
In Miss Holdens Mundwinkel stahl sich ein kleines Lächeln. »Na schön«, sagte sie und sah April wieder an. »Ich nehme an, bis jetzt hat noch niemand wirklich offen mit Ihnen darüber geredet, also werde ich das übernehmen. Ich heiße Annabel Holden und bin eine Wächterin. Ich habe schon, bevor ich sprechen konnte, von der Existenz der Vampire gewusst und bekämpfe sie, seit ich auf eigenen Beinen stehen kann. Die Wächter sind ein Geheimbund, dessen Mitglieder sich der Aufgabe verschrieben haben, Informationen über die Vampirgemeinschaft zu sammeln und alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihren Aufstieg zu verhindern. Wir gehen dieser Verpflichtung nach, seit der erste Untote seinem Grab entstiegen ist, was nach Ansicht vieler auf vorchristliche Zeiten zurückdatiert. Meine Mutter gehörte diesem Geheimbund genauso an wie mein Großvater – das Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben. Wir Wächter – unter uns gibt es Polizisten, Priester, Akademiker und sogar Politiker – sind auf der ganzen Welt miteinander vernetzt, damit wir zu jeder Zeit Kenntnis darüber haben, an welchen Orten die Vampire aktiv sind, um unsere Leute dorthin entsenden zu können. Das ist auch der Grund, warum ich an der Ravenwood School unterrichte. Anfangs glaubte ich, meine Aufgabe würde darin bestehen, so viele Informationen wie möglich über die Organisation zu sammeln, die hinter Ravenwood steht, und mein Bestes zu geben, um die Schüler zu beschützen, aber wie sich nun herausstellt, bin ich anscheinend hier, um Sie zu trainieren.«
»Mich zu trainieren ?«
Miss Holden lächelte. »Nicht wie Rocky. Ich werde Ihnen nicht beibringen zu boxen, sondern mein ganzes Wissen über Vampire an sie weitergeben. Wer sie sind, welche Fähigkeiten sie besitzen und welche Ziele sie verfolgen. Darüber hinaus werden Sie aber auch lernen, welche Fähigkeiten Sie besitzen. Denn ohne dieses Wissen schweben Sie in großer Gefahr.« Sie musterte April forschend. »Ich möchte Ihnen keine Angst einjagen, April, aber es wäre sinnlos, Ihnen etwas vorzumachen. Hier gehen üble Dinge vor sich, eine Finsternis senkt sich über alles.«
»Eine Finsternis?«
»Drei im Fokus der Öffentlichkeit stehende Morde, gewalttätige Übergriffe, eine gestiegene Rekrutierungsrate. Das alles sagt uns, dass die Vampire auf dem Vormarsch sind. Vielleicht geht es lediglich um einen Machtkampf zwischen den einzelnen Clans, aber die Zunahme der Rekrutierungen an der Ravenwood School lässt vermuten, dass es hier um einen weitaus tiefgreifenderen und finstereren Plan geht.«
»Dann war Marcus gar kein Abtrünniger, der völlig eigenmächtig gehandelt hat?«, fragte April, und eine schreckliche Angst stieg in ihr hoch. Es war schon schwierig genug gewesen zu akzeptieren, dass sie um ein Haar von einem Vampir getötet worden wäre, aber die Vorstellung, dass er womöglich im Auftrag von jemand anderem gehandelt hatte, war kaum zu ertragen.
»Es ist durchaus möglich, dass Marcus lediglich die Beherrschung verloren hat«, sagte Miss Holden behutsam, als sie Aprils erschrockene Miene sah. »Aber wenn er für die Morde an ihrem Vater und an Isabelle verantwortlich ist, gehe ich davon aus, dass er Befehle ausgeführt hat. Es tut mir leid, April. Ich hätte damit rechnen müssen, dass Marcus so etwas tun würde, nachdem Benjamin Sie ins Visier genommen hatte.«
»Ich wurde ins Visier genommen?«
»Ja. Genauso wie diverse andere Leute aus Ihrem nächsten Umfeld – ist Ihnen das denn nicht aufgefallen?«
April blickte auf ihre Hände hinunter. Sie fühlte sich unendlich schuldig, so viele Menschen, die ihr etwas bedeuteten, in diesen Albtraum mit hineingezogen zu haben.
»Ich kann nur vermuten, dass Marcus sich von Ihnen bedroht gefühlt hat, als ihm klar wurde, wie anziehend Sie auf Benjamin, Davina und die anderen Vampire wirkten. Er spürte die Anziehungskraft, die von Ihnen ausging, ebenfalls, und ich vermute, dass er es nicht ertrug, dagegen so machtlos zu sein. Wahrscheinlich hat das schließlich dazu geführt, dass er die Kontrolle verlor. Nachdem er Sie in der Mädchentoilette der Schule angegriffen hatte, hat Mr Sheldon ihn selbstverständlich zur Rechenschaft
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