Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Augustin
Vom Netzwerk:
zehn Stunden lang, das einzige, was sich bewegte, waren die Münder. Und die standen nicht still, zehn Stunden lang am Stück wurde geratscht. Ich glaube, es waren lauter Lügen, die hier das Licht der Welt erblickten, denn soviel «am Stück» konnte kein Mensch erlebt haben. Eine Dame - die schwere Frau Kastenmair, die ich nie auf den Beinen sah - hatte angeblich fünfmal geheiratet, später, als ich nach einer längeren Pause die Damengruppe wieder aufsuchte, waren es sogar sechs Ehemänner gewesen, der letzte ein betuchter Fabrikant, den es vorher gar nicht gab. Also gut.
    Eine andere hatte es mit ihren Töchtern. Unglaublich erfolgreichen Töchtern: Die eine sprach fünf Sprachen, eine zweite war mit einem französischen Dirigenten verheiratet, spielte selbst Harfe, auch Geige und Klarinette. Akkordeon? Akkordeon auch. Waldhorn? Und der dritten Tochter gehörte ein Haus, das überhaupt nicht zu überbieten und bereits im «Schöner Wohnen» abgebildet war. Oder wie hätte man es überbieten können, mit dem fehlenden Lungenflügel von Frau Kastenmair?
    Warum nicht. Ein fehlender Lungenflügel hatte bei unseren Damen Gewicht. Doch gab es für die schwere Frau Kastenmair eine ganz Magere als Gegenpart, und die konnte nun mit zwölf verschiedenen, praktisch gleichzeitigen Krankheiten aufwarten, eine ernster als die andere. Diabetes, Schulz-Henkesche Blutkörper, Erbsche Gleitwirbel, und als ich nach der Pause wieder zuhörte, waren inzwischen noch zwei dazugekommen, eine seltene Form von Bronchitis und ein Darmverschluß mit Folgen, die uns einen ganzen Vormittag beschäftigten. Und Allergien natürlich, denen war keine Grenze gesetzt, aber da konnten natürlich auch andere mithalten, allergisch gegen Bohnerwachs, Katzen, Geranien…
    Radiergummi, sagte ich.
    Radiergummi, Haarbürsten, Kartonagen, alte Teddybären, was noch? Eine Dame mit einer sehr tiefen Stimme - das war ihre Eigenart, daß sie erst durch die Stimme anwesend war, sonst nicht - erklärte, daß ihre Zeit überhaupt im Krieg stattgefunden hatte, und wenn man genau hinschaute - an sich war sie ja nicht anwesend -, sah man tatsächlich Spuren einer großen Schönheit. Als Blitzmädchen. Da gab es keine Allergien, da gab es Luftwaffenoffiziere mit den gelben Seidenschals, Stabsoffiziere mit den roten Streifen, und gab es da einen General? v. Rundstedt? Sie müssen, sagte ich, sehr begehrt gewesen sein, bei Ihrem Aussehen. Jawohl, mit dem General v. der Lücken im Nachtschnellzug nach Paris.
    Ich selbst bin ja eigentlich Brasilianer, erklärte ich, das heißt, mein Vater war Brasilianer, meine Mutter Dänin, und ich bin rein zufällig in einem kleinen Ort in Holstein geboren, eigentlich in São Pãolo. Und wo da? In Schwerin, an der dänischen Grenze.
    «Das stimmt doch gar nicht», sagte Frau Wieland, «Sie flunkern doch.» Dazu nahm sie mich aber ganz reizend beiseite, wie es die Damen in früheren Zeiten taten, nur wären sie damals nicht nackt gewesen.
    «Sie haben geflunkert, Schwerin liegt doch nicht an der dänischen Grenze.»
    «Das ist möglich», gab ich zu, wie sollte ich das auch als Brasilianer wissen. Sie nickte verständnisvoll, legte den Finger an den Mund und machte: Psst.
    «Und jetzt», rief sie, «schmier’n mir uns alle ein!»
    Die glückliche Stunde im Klub.
    *

    Sollte man meinen. Doch wie es der Teufel wollte, reckte in genau diesem Augenblick das Unheil seinen Kopf. Das heißt, unser viereckiger Muskelmensch tat es. Er hatte das schon einige Male versucht, hatte da seine eigene Art zu tauchen, schwamm eine gewaltige Länge unter Wasser, es war aber mehr ein Pseudotauchen, indem sein Hinterteil immer noch herausragte. Er spaddelte, warf Wellen, drehte sich wie ein Tümmler um die eigene Achse - und ein dazugehöriges Unterwasserbellen hätte mich nicht gewundert.
    Um dann unvermutet über den Beckenrand zu schießen.
    Frau Lempe fiel der Salatsandwich aus dem Mund, Frau Kastenmair ließ eine Masche fallen, so unvermutet tauchte dieses Walroß, dieses quadratische, auf und bespritzte uns alle mit Wasser. Mich am meisten, der ich am nächsten lag. Lehnte sich auch noch breit auf den Beckenrand, prustete und stützte gemütlich die Ellenbogen auf.
    Es reichte.
    Jetzt plazierte er auch noch in aller Ruhe sein Kinn auf meine gute Badematte und wollte sich womöglich noch anbiedern, aber da kam er ja gerade an den Richtigen.
    Sie Spanner!» rief ich aus, «sehen Sie, was Sie angerichtet haben, die Damen sind ja völlig

Weitere Kostenlose Bücher