Die Schule der Nackten
es ist ein Sekundentod, theoretisch eine Erstickung», fuhr der Schuldirektor fort, «aber was sagt uns das? Es sagt, daß ich nur den Lüsten eines Menschen, eigentlich nur seinen ganz alltäglichen Gewohnheiten nachspüren muß und, Bingo, da habe ich ihn.»
12
Sita, die Furche, die Schönhüftige, hat mir zwei Söhne geboren, beide Wohlgestalt an Leib und Seele. Bhanu, der ältere, geht mir schon zur Hand, wenn ich anschirre oder einen schwarzen Stein auf den Hof rolle, dann rollt er handfest mit. Shashim dagegen, der jüngere, scheint geistiger veranlagt, schaut immer zur Seite, als ob da etwas wäre, das wir nicht sehen, und vielleicht ist da wirklich etwas. Etwas Gutes. Ich darf sagen, daß ich Freude an meinen beiden Söhnen habe. Freude an meiner Frau, meinem Haus, meinem Gewerbe, ich mache den Ganesh, ich mache auch andere schöne Figuren, aber den Ganesh mache ich am besten, in jeder Größe, aus schwarzem Speckstein, aber auch aus grünem, oder sehr große aus Tuff.
Ich bin ein glücklicher Mensch, ich schwimme in einem Meer des Glücks, das mir meine Frau beschert, die Allerschönste der Welt. Sie heißt Sita, benannt nach der Göttin der Fruchtbarkeit und des Stundenglases, als ich sie zum ersten Mal sah, fielen mir die Augen aus dem Kopf - sie fielen mir wahrscheinlich in den Schoß, und dort liegen sie immer noch. Ich weiß nicht, was andere Männer empfinden, wenn sie sie sehen, ich will es auch nicht wissen. Ich empfinde nur Glück, ein nicht enden wollendes, von der Urzeit meiner Existenz bis in alle Ewigkeit reichendes Glück. Mögen die heiligen Männer das Nichtsein anstreben, ich bin nicht heilig und will nichts als sein. Mit ihr. Mit Sita, der Schönen.
Aber jetzt ist es Abend. Die goldene Lehmfarbe meines Hauses verdunkelt sich, draußen vom Meer rollt eine lange schwarze Dünung herein, es ist fast windstill, so daß ich das Klappern und Singen aus dem Dorf hören kann, obwohl es fast zwei Wegstunden entfernt ist - man klopft dort die Pilger zurecht, die eine Woche lang nic ht schlafen dürfen. Bis sie in ihrer eigenen Haut kaum noch vorhanden sind. Mit mir hat man einmal das gleiche getrieben, als ich noch heilig werden sollte, mir Tag und Nacht die Ohren zugegellt, heilig bin ich nicht geworden, und zu essen gab es auch nichts.
Mein Haus hat eine Dachterrasse, auf der ich sitze. Hier oben ist es noch hell, aber unten liegen schon die violetten Schatten, und im Hof sind sie schwarz, ich sehe da unten den kleinen Shashim als Püppchen, und der handfeste Bhanu ist auch nicht weit, ich höre ihn rumoren, aber wo ist Sita, meine Frau, die Schön-hüftige? Wo ist sie? Mein Haus ist ein Steinwürfel über dem Strand, fast quadratisch im Grundriß, mit einem Lichthof in der Mitte, mehr einem Schacht gleichend, in dem die Hausfrau kocht und werkt, und obenauf liegt ein Gitterwerk, durch das ich hindurchsehen kann. Jetzt richte ich meinen Blick auf den gelben Weg, der entlang des Strandes vom Dorf herführt, und auf dem sie kommen muß.
Und seit Stunden nicht kommt.
Ich weiß, wo sie ist.
*
Eines Tages war sie wieder da - es mochten eine oder sogar zwei Wochen vergangen sein -, und ihr Auftritt im Schwimmbad war spektakulär genug, denn sie kam mit Jesus höchstpersönlich.
Ich hatte inzwischen den Platz gewechselt, lag jetzt meistens zwischen den Beinen des Wachtturmes. Das war also eine weitere Konsequenz, ein Wachtturm, den sie für uns, nicht weit von der Stelle, wo die alten Damen lagen, am Pool aufgerichtet hatten. Ein häßliches Gestänge mit einer Plattform, einem Raster aus Eisen, worauf der zusätzliche Bademeister saß, so daß man von unten seine weißen Hosenbeine sehen konnte - bei Sonne warf es ein gepunktetes Muster auf den Boden. Ich hatte mir diesen neuen ungeliebten Platz ausgesucht, weil dort niemand liegen wollte, aber auch weil ich hier je nach Sonneneinfall die Dosis bestimmen konnte, etwa nur mit dem Kopf im Schatten oder mit meiner oberen oder unteren Hälfte. Oder ganz gepunktet, wenn es mir zu heiß wurde. Außerdem war ich der Meinung, für diesen Sommer genug gebräunt zu sein.
Juliane war nicht allein. Ich sah sie oben am Eingang, wie sie den Kopf renkte, um mich zu entdecken, diesen verhältnismäßig kleinen Kopf. Konnte mich aber nicht entdecken, da ich hinter den Beinen des Gestänges versteckt war. Und dann sah ich, daß da jemand neben ihr stand, der war nun doch recht spektakulär, gelinde gesagt. Er bestand vornehmlich aus Barthaar, das heißt,
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