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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Augustin
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wenn jemand redete. Und alle redeten, Trauben von Menschen, auch viele Angezogene, die offenbar von draußen hereingelaufen waren, andere hatten sich teilweise bedeckt, einen Herrn sah ich, der sich zwar zum Oberhemd entschlossen hatte, nicht aber für die Hose. Inmitten der Menge ein quatschnasser, weißgekleideter Bademeister. Und der Hubschrauber fünf Meter über der Wasseroberfläche, hohe, spitze Schaumkämme erzeugend - man wußte nicht, was er noch wollte, der Körper war längst anderweitig abtransportiert, davon zeugte ein gewaltiges Aufgebot cremefarbener Rettungswagen, die die Wiese verstellten.
    Die Sonne war auch weg.
    *
    Es sollten sich aber spürbare Konsequenzen für uns sowie für das gesamte Jakobi-Bad ergeben - im weitesten Sinne sogar für alle städtischen Badeeinrichtungen. Obwohl im Endeffekt dann doch so ziemlich alles beim alten blieb.
    «Es waren zwei fatale Umstände, die zusammentrafen», sagte mein Freund mit der goldgeränderten Brille, mit dem ich ein paar Tage später ein Gespräch an der gewohnten Stelle unter dem Holunder führte. Die Badesaison hatte sich wieder eingestellt, wenn auch etwas gedämpft, die Dollarnoten, die Muschelschnecken, die lachenden Sonnen waren wieder ausgebreitet, das Becken frisch gekehrt und temperiert. Es gab sogar ein paar Leute im Wasser.
    «Es ist so», erläuterte mein Freund, «unter Wasser die Richtung zu verlieren, das Gefühl für oben und unten, nicht wahr, ist im Seichten genauso gefährlich wie im tiefen Wasser. Dieser Mann versuchte aufzutauchen und schwamm geradewegs in den Grund hinein.»
    «Sie meinen, er hatte den Drehschwindel.»
    «Der Drehschwindel war die eine Komponente, das Unterwassertauchen die andere.»
    «Teuflisch», sagte ich, «ein untenliegender Himmel und ein obenliegender Grund.»
    – – –
    Darüber mußte man erst einmal nachdenken.
    «Außerdem hatte der Mann seine Pillen nicht nehmen können, sie waren verschwunden, ich habe es gesehen», sagte mein gebildeter Freund, «erst waren sie da, und dann waren sie weg.»
    «Sie meinen…?»
    «Ich meine gar nichts. Es gibt die mysteriösesten Todesarten. Die Literatur ist voll davon.»
    Es sei nur eine Liebhaberei, entschuldigte er sich halbwegs, nicht gerade das, was man ernstzunehmende literarische Studien nennen könnte, immerhin habe er einige «Zwei-Komponenten-Morde» zusammengetragen. König Wulfried von Schweden zum Beispiel kam durch einen anaphylaktischen Schock zu Tode; er wurde gegen Pocken geimpft, gleichzeitig aber setzte man ihm einen Ziegenbock ins Schlafzimmer - Sie wissen, was der Ziegenbock absondert?»
    Offen gestanden, ich wußte es nicht.
    «Zwei Momente», führte er aus, «jeder für sich unterschwellig, verdichten sich zu einem Gesamtmoment. Ähnlich sich überlagender Wogen, die plötzlich haushoch stehen. Der Mörder braucht nur die gegebenen Umstände zu benutzen, kein Mensch wird ihm jemals daraufkommen.»
    «Der Mörder?»
    «Falls es einen gibt.»
    Woraufhin er nun ganz weit ausholte. Der berühmteste Mord dieser Gattung, erklärte er mir mit einer weiten Geste, sei der in Marseille 1923, der Mörder benutzte Mandeltörtchen, man denke, Mandeltörtchen als Waffe. Einer der berühmtesten und verdrehtesten Fälle jener Zeit.
    «Berühmt?»
    «Und gleichzeitig unbekannt, ich weiß, es widerspricht sich, Gott hat verhütet, daß es publik wurde, ohne Frage hätte der Fall einen Haufen Nachahmer gefunden.»
    «Sind Sie Kriminalist?»
    «Nein», sagte er vorsichtig, «ich bin Schuldirektor.»
    Das erklärte es.

    *

    Der Mandeltörtchenmord.
    Frans Dolangerant, Beamter der Stadt Marseille, wurde beschuldigt und überführt, seine Ehefrau Henriette Dolangerant vorsätzlich mit einer Übermenge von Mandeltörtchen gefüttert zu haben. Diese im Verein mit der landesüblichen Vorliebe für Bouillabaisse führte im Verlauf von drei Monaten zu ihrem Tode. Der Täter wurde nach achtjährigem Prozeß im Staatsgefängnis von Briodout bei Marseille hingerichtet.
    So geschehen in den Jahren 1923-31.
    «Das ist ja eine merkwürdige Geschichte», sagte ich, «lassen Sie mich raten, Marseille deshalb, weil es dort die Fischsuppe gibt.»
    «Die einzige und wahre», bestätigte er.
    – – –
    In diesem Augenblick ging der neue Bademeister vorbei, in weißer Hose und Hemd; sie hatten uns doch tatsächlich einen zweiten Bademeister zugeteilt - einen hatten wir ja schon -, als eine der Konsequenzen.
    Die echte Bouillabaisse, setzte mein Freund, der Schuldirektor,

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