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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Augustin
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Haupt- und Barthaar, das ihm als einzige Matte weit über die Brust reichte, welch bedeutenden Mann hatte sie da aufgetan? Gekleidet war er in ein Hemd aus grobem braunem Stoff, fußlang, eine Art Kutte ohne Ärmel, und gestützt war er auf einen richtigen langen Hirtenstock mit einer Gabel am oberen Ende, zu der er hinaufreichte, indem er den Unterarm hoch um den Stock wickelte. So stand er da. Und so ging er auch.
    Juliane schien immer noch zu suchen, schaute angestrengt auf die Ecke, wo wir sonst immer lagen, während er auf eine Buschgruppe zuschritt, würdevoll, gleichzeitig aber auch recht mühselig. Das fiel nun auf. Der Mann hatte einen eigentümlich schleudernden Gang, er bewegte die Oberschenkel kaum, schleuderte dafür die Unterschenkel heftig aus den Knien heraus, was aber trotzdem nur sehr kleine Schritte ergab. Dementsprechend kam er langsam voran und Juliane dementsprechend auch. Ich verlor die beiden aus den Augen, als sie eine Buschgruppe erreichten, machte mich, auch als der Tag fortschritt, nicht bemerkbar.
    Später sah ich den seltsamen Heiligen einmal allein im Pool, offenbar verrichtete er irgendeine Waschung. Er hatte jetzt sein Hemd oder Kutte ausgezogen, darunter war er hager, ziemlich bleich mit vorstehenden Beckenkämmen und einzelnen, unter der Matte sichtbaren Rippen - und einem, mußte ich feststellen, etwas gerunzelten Hintern, anscheinend aß er zu wenig. Nicht alt, höchstens vierzig. Aß anscheinend asketisch, obwohl er einen rosigen kleinen Bauch besaß; der wiederum war sympathisch.
    Ich weiß nicht, ob er sich wusch oder sich nur besonders gebärdete. Er stand bis zum Bauch im Wasser, tauchte den Kopf tief ein und warf ihn dann vehement zurück, wobei ihn Bart und Haupthaar eine Sekunde lang als sprühender senkrechter Kranz umstand, Tropfen nach allen Seiten verteilend. Ein seltenes Tier mit einem gewaltigen Mohawk. Ich glaube, daß er doch eine Waschung vornahm, denn er wiederholte den Vorgang über und über, selbst ich, der ich nicht in Sprührichtung lag, bekam ein paar Tropfen ab. Dann war er wohl sauber und stieg aus dem Wasser.
    Ging mit seinem kleinschrittigen Schleudern davon. Was hatte er mit Juliane zu schaffen, ich wußte schon, was. Die Würfel waren gefallen, der Rubikon überschritten.

    *

    Um es gleich vorauszuschicken, der Mann war Profi. Wenn ich es recht bedenke, war er sowieso unvermeidbar gewesen. Ich saß da unter meinem Gestänge und versuchte, den Nachmittag einigermaßen hinter mich zu bringen. Juliane war einmal vorbeigeschwommen, hatte mich aber immer noch nicht entdeckt. Entsprechend dem Sonneneinfall rückte ich von Zeit zu Zeit, so daß ich Gesicht und Schultern im Schatten halten konnte, las ein Buch, es hieß «Proof» und handelte ausschließlich von Whisky, immerhin hatte ich fast ein Drittel bewältigt, bevor ich bemerkte, daß es ein Kriminalfall war. Proof kann ja auch Beweis bedeuten. Rückte gerade noch ein Stück, las gerade noch etwas, das ich auch nicht richtig begriff, als sich das Buch verdunkelte. Ein langer Schatten. Zwei lange Schatten, einer fiel auf mein Buch und einer auf meine Beine.
    «Alexander», noch nie hatte sie mich Alexander genannt, «Alexander, darf ich dir Pradhi Rama vorstellen.»
    Unvermeidbar, weil folgerichtig.
    Ich nehme an, daß sich dieser Pradhi Rama, genauso, jetzt und hier und genau an diesem Platz hatte verdichten müssen. Genau in seiner Person. Er betrieb also eine Institution, ein Begegnungszentrum, etwas absolut Professionelles. Seminar für tantrisch-esoterische Erfahrungen, für Leute, die es wissen wollten. Ich nehme an, daß der Mann von langer Hand angelegt war, und ich schicke das jetzt voraus, damit er ernst genommen wird. Kein fremder Vogel, sondern im Gegenteil ein unternehmender Geist und - wie wir alle noch erfahren sollten –ein erfolgreicher.
    «Das ist der Pradi.»
    «Hi, Pradi», sagte ich.
    «Und das ist der Alex.»
    Er schien nachzusinnen, dann legte er die Handflächen zusammen und führte sie zusammengelegt zur Stirn. Es sah sehr gut aus. Dauerte eine Weile. Sah trotzdem gut aus. Nur um seinen Stil zu zeigen.

    *

    Doch am nächsten Morgen hatte er meinen Platz belegt.
    Er hatte das ganze Viereck unter dem Gestänge mit einem hauchdünnen scharlachroten Tuch bedeckt, so dünn, daß der Beton durchschien. Darauf lag im einen Quadranten eine graue Decke, darauf saß er mit untergeschlagenen Beinen.
    «Hi», sagte ich.
    Er legte die zusammengelegten Hände an die Stirn, und insoweit

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