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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Augustin
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es recht bedenke, ist es sogar heilig gewesen. In bestimmten Augenblicken, wenn sich die Welt umstülpt und wir die gemeinsame Fahrt beginnen, die Sita und ich, jedenfalls in eine Art Götterhimmel. So genau in Worten kann ich das nicht ausdrücken, sie ist dann die Shakti, die alles unsichtbare Leben trägt, den Ozean des Unerfüllten, und ich bin der Shiva, der eintaucht, damit es sich erfüllt. Nur daß wir zu diesem Zweck keinen Budha Ratnor benötigen (wenn er überhaupt so heißt), der ins Dorf gekommen ist, als würde er es besitzen, das ist nicht ganz einzusehen.
    Um zum höheren Sein zu gelangen.
    Als ich eintrete, ist es draußen schon dunkel, die beiden Elefanten am Eingang auf ihren jetzt schwarzen Säulenbeinen sehen fast noch größer aus als früher, als sie so groß und rötlich in der Mittagshitze standen. Weiter hinten sind Schalen mit Öl aufgestellt, in denen Dochte brennen. Das schwere Gatter ist im Mittelteil offen, als würden noch weitere Besucher erwartet, es ist aber niemand zu sehen, und ich höre auch keine Fußtritte, nur das Rasseln vom Dorf und das entfernte Gellen, mit dem sie die Pilger wachhalten. Ich spüre diese aufgeheizten Steinplatten unter meinen Fußsohlen und ich weiß, daß hier im offenen Vorgewölbe die Sonne vier Stunden lang darauf gestanden hat, zum Gatter hin sind die Platten kühler, dort liegt immer der Schatten des oberen Gewölbes. Bis hierhin reicht der Weg, den ich so gut kenne. Bis hierhin und nicht weiter. Danach wird alles anders sein.

    *

    Die Yoni-Massage beansprucht die ganze rechte Hand, alle Finger: Der kleine ist in der Rosette verankert, drei Finger ruhen innerhalb der Yoni, während der Daumen die kleine Dolde streicht, aber kaum merklich oder überhaupt ganz unmerklich. Es wird stillgehalten. Ein leises Zittern vielleicht. Und es braucht Zeit, eine Menge Zeit, daß sich die Energie sammele, daß sich der Ozean fülle. Man nennt das «die Woge bereiten», und das geschieht in der Stille. Vielleicht ein ganz leises Kneten nach unendlich langer Zeit und auch erst, nachdem sich die goldenen, die Herz- und Hirnchakras gefüllt haben, die Bauchchakras sind schon voll. Es ist eine «Komm zu mir»-Bewegung der drei inneren Finger der rechten Hand, wobei der Handrücken nach unten (außen) gehalten wird, ein, ja, unmerkliches Streichen der zart gebuckelten Vorderseite der Scheide - das ist die geheime «Stelle» -, wo sich die Schlangenkraft auftut. Und es braucht Zeit, eine Menge Zeit. Ein leises Wogen, auf und ab, so wie der Atem geht. Auf und ab.
    Woher ich das weiß? Ich weiß es.
    Ich habe das Tuch um mich gewickelt, an der Hüfte fest geknotet und über die Schulter geschlungen, das Tuch ist blaßrot mit dunkelroten Streifen, es ist sehr schön. Meine rechte Schulter und der Arm sind frei. Hinter dem Gatter sind noch mehr Lichtschalen aufgestellt, nicht regelmäßig, nur hier und dort, aber insgesamt einen Weg weisend, eine Lichtstraße wie zu einem Fest, das auf Gäste wartet, und die Luft ist fettig vom verbrannten Öl.
    Hier ist ein Gang, der etwas ansteigt und wieder abfällt, mit einem Knick nach zwanzig Schritt und einem weiteren nach vierzig. Die Öllichter an den Ecken sind so aufgestellt, daß sie nur den abgebogenen Teil beleuchten, und da sie auf dem Boden stehen, wird mein Schatten groß an die Decke geworfen. So tief bin ich noch nie eingedrungen, ich glaube auch nicht, daß es mir erlaubt ist. Nicht mir. Das Messer habe ich hinter den Knoten des Tuches gesteckt. Es ist ein Geschenk meines Onkels Babu zum sechzehnten Lebensjahr, ein Tokki-Messer in einer Scheide aus Holz, drei weinende Affen darstellend. Hatte ich es doch von jeher als albern empfunden, und jetzt soll es mein Leben beenden?
    Bis sich der Gang weitet: Da ist er, steht da leibhaftig, eigentlich hatte ich es nicht ganz gegla ubt, daß er am Ende leibhaftig dastehen würde. «So hoch und groß und dick.» Da erweitert sich der Gang zu einer Höhlung, rund wie ein Topf, in der der Lingam aufrecht steht, als ob er darin gekocht werden sollte. Nun, es sind nicht gerade zwei Männer, die ihn kaum umfassen können, aber einer allein kann es ganz gewiß nicht. Gewaltig alt. Wie er da steht, aus schwarzer Bronze, bedeckt von armdickem Adergeflecht, gekrönt von einer riesigen Eichel, geformt wie ein Schirm und glänzend im Schein der Öllampen, triefend, wohl tausend Jahre alt. Oder mehr. Ich nehme an, daß er wie ein Berg dröhnen würde, schlüge man mit dem Hammer darauf.
    – –

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