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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Augustin
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An sich ein guter Witz, und mir ist auch klar, aus welchem Grund er mir an dieser Stelle eingefallen ist, trotzdem habe ich nicht darüber lachen können. Überhaupt nicht. Es war etwas ganz anderes, es war der tiefe Ernst.
    «Das Ausströmen», erklärte der Pradi, «ist eine Befreiung. Wir lassen es raus! Wir leeren den Körper! Und wir sollten es deutlich machen. Laut: Haaahhh!»
    «Haah…» machten wir.
    «Und Choooohhh…»
    «Choooohhh…»
    «Laßt es vibrieren, laßt es laut flattern, Guguguhhh…»
    « Guggugguguhhh…»
    Jawohl, es hatte sich ein regelrechter Wettbewerb entwickelt, der weit über die anfänglichen Haahs und Hoohs hinausging. Auch Stimme war angesagt: Aaaaoooiii, auf diesem Feld war zum Beispiel der Rudi nicht zu schlagen. Der röhrte und dröhnte wie eine Dampfsirene und gab sein Bestes, der Mann.
    «Laßt es raus! Laßt es hören!»
    – – –
    Nein, es war der tiefe Ernst des Rudi, der mich überwältigte, seine offensichtliche Hingabe, mit der er solche Töne erzeugte. Den Mund zum runden O geformt, den Blick hinab auf den Austritt gerichtet. Einerseits in voller Lautstärke, andererseits tief verinnerlicht, vollkommen vergeistigt. Jemand lachte laut schallend.
    Mein Leben lang werde ich mir das nicht verzeihen können. Es gibt Dinge, die einfach nicht mehr gutzumachen sind. Nicht, daß man mich schallend lachend hinausgetragen hätte, es war nur ein kurzer Anfall und in dem allgemeinen Gebrüll eigentlich gar nicht recht zu hören. Aber danach herrschte Totenstille. Jemand hatte gelacht!
    – – –
    Damit ich es nicht vergesse: Die Zunge zur Röhre gerollt, erzeugt beim Einatmen angenehme Kühlung, diese Finesse wenigstens habe ich gelernt!

    *

    Mit mir sprach man nicht mehr. Beim Essen nicht und danach auch nicht, man sah mich nicht einmal an. Allein mein kleiner Zimmernachbar, dem bei anderen Gelegenheiten immer übel wurde, hatte helle Augen.
    Als es nach dem Essen aufhörte zu regnen, vertrat ich mir noch ein wenig die Beine. Die feuchte Feldlandschaft mit ihren hängenden schon kahlen Büschen und den grauschwärzlichen Untertönen kam meiner Verfassung durchaus entgegen. Ich hatte sowieso vor, diesem unseligen Unternehmen am nächsten Morgen ein Ende zu setzen. Zurückzukehren in meine Welt, «des Alexanders überdrüssig, wandte sich der Gast nach Athen». Ich machte mir nichts vor, meine Zeit war vorbei, der Sommer beendet.
    Diesmal sah ich ihn schon von weitem. Er kam mir auf direktem Weg entgegen, entschlossenen Ganges, wenn auch ziemlich schleudernd, wie ich feststellte. Bisher war das hier kaum in Erscheinung getreten. Doch psychisch? Trug auch wieder seine Kutte, wahrscheinlich mit entsprechend warmem Unterzeug, unten schauten ein paar dickgestrickte Socken heraus.
    Er blieb vor mir stehen.
    «Du kannst dein Geld zurückhaben.»
    «Alles?»
    Er blickte mich fest an. Dann legte er die Hände als Sperrgürtel vor den Bauch und blickte noch fester.
    «Du störst. Die hast immer gestört, du störst den Fluß (welchen Fluß?), den Energiefluß. Du bist ein Mhata!»
    – – –
    Oh, ich weiß, was ein Mhata ist, «gebt mir Flügelkraft, damit ich mich vom Boden erhebe» (Apanaprati Puri). Es ist ein Kopf ohne Unterleib. Er kann fliegen, indem ihm Flügel aus der Stirn wachsen, aber er hat keine Beine, um auf dem Boden zu stehen, er kann hinauf, aber er kann nicht hinab.
    «Wenn du dich nur nicht irrst, Pradi», sagte ich.
    «Warum gehst du nicht zurück zu deinen aramäischen oder chaldäischen Studien, du hast bei uns nichts zu suchen.»
    Dabei senkte er die Hände, und ich konnte sehen, daß er sein Genital unter der Kutte festhielt. Es war aber der Erdgeruch, die Ausdünstung dieser schwarzen Landschaft, die mich überzeugte. Der Blutgeruch: Die Schlange frißt den Vogel.
    «Ich habe dich gewarnt», sagte er, «aber du hörst mir nicht zu.»
    In diesem Fall stand mein Entschluß fest. – Ich blickte ihm nach, wie er sich in seiner Kutte über den braunen Feldweg dahinschleuderte, und ich sah, was mir bisher noch nicht aufgegangen war, wie lang dieser Mann war.
    «Willst du mir drohen, Pradi!» rief ich ihm nach.

17

    Diesmal zogen wir uns alle miteinander aus. Es war gut eingeheizt worden, und es überkam mich eine Erinnerung: Die Turnhalle in Rottach, der Dunst der Knaben, die am Reck gehangen haben. Schweiß und Turnschuhe und ein besonderes Element: ein wenig säuerliche Angst. Unser erstes Ritual also, hier die Kerle, dort die Weiber, getrennt an den

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