Die Schule der Nackten
obszöne Weise dünn, ihre Beine, eigentlich nur zwei lange Röhrenknochen, waren weit voneinander in das Becken eingesetzt, dazwischen trug sie hinten ein kaum vorhandenes Gesäß und vorne zwei dünne Schamlippen, wie sie assistierend zwischen den Paaren herumging. Aber möglicherweise werden die Mageren magerer und die Dicken dicker, dachte ich.
Danach haben die Paare ein «Haus» eingerichtet. Tücher wurden ausgebreitet. Man nahm Platz, wechselseitig einer liegend, der andere am Kopfende sitzend, sich wechselseitig mitteilend: Wie und welche Kindheitsschuld, wo und wann bestraft, wie Sexualität erfahren, von Eltern, Freunden, Onkeln, auch Demütigungen, wie und wo. Insgesamt eine rituelle Atmosphäre, während der Pradi oder auch die Sindra von Haus zu Haus gingen, und wir beklommen auf unseren Tüchern saßen, das heißt, ich weniger, eher die Traudl, offensichtlich. Oh, einen Unsinn habe ich noch zu berichten. Als wir noch in Zeitlupe auf eine vermeintliche Juliane zugeschritten waren - die sich dann zufällig als die arme Traudl entpuppte -, hatte ich als besondere Zugabe neben mir den schönen Hans zu ertragen. Der stöhnte und stöhnte sich auf der gesamten Strecke einen zurecht, ebenfalls in Zeitlupe. Offenbar tat sich der Junge schwer mit seinen Problemen. Und als er schließlich vor seiner Partnerin stand, tat er sich nur noch schwerer.
«Ich kann das nicht.»
Gebärdete sich wie ein Idiot.
«Ich bin gar nicht hier.»
Man stelle sich vor, da gerät jemand unverdientermaßen und durch eine ganz miese Vertauschung an meine Juliane, und dieser Idiot hat nichts Besseres zu sagen:
«Dies ist nur meine Hülle», habt Erbarmen, «ich bin gar nicht anwesend…»
Doch das bist du, wollte ich ausrufen, und zwar in Einhausen, auf der verdammten Schönheitsfarm, Ende September. Ich meine, ich hätte es ja nachvollziehen können, aber die verdammte Juliane mit ihrer Gruppenerfahrung nahm sich dieses Problems in sehr liebevoller und sehr hassenswerter Weise an - inzwischen hatten wir freie Sicht, und ich konnte es genau beobachten.
Dieses, glaube ich, war der Augenblick, an dem ich zum ersten Mal daran dachte, sie umzubringen.
*
In der Nacht träumte ich die Ermordung des Fritz Otto Kortners, eines früheren Kollegen, an den ich dreißig Jahre lang nicht gedacht hatte, und zwar geschah sie seitwärts als Ritual über eine abgerissene Decke hinweg. Die ganze Nacht über versuchte ich, das Bild frontal vor die Augen zu bekommen, was mir nicht gelang, weil ich in diesem außerordentlich quälenden Traum meine Augen nicht erheben durfte; ich war froh, am Morgen aufzuwachen.
*
Partnerwahl.
Endlich ging es zur Sache. Am Morgen sollten wir uns nicht nur mit Badetüchern, sondern auch mit dem Fläschchen Massageöl einfinden. Ich hatte mich sowieso gewundert, welche Utensilien in unserem Gepäck erwünscht waren: Wickeltücher, Sarongs, Lanais oder ähnliches, auch persönliche Dinge, Geburtssteine (Mars?), Düfte in Dosen, sogar Trommeln oder Rasseln, Spezereien zum Räuchern. Und eben das bewußte Massageöl.
Ja, da wurde die Spreu vom Weizen getrennt. Wir stellten uns in großem Kreis auf und sahen uns an. Es wurde wohl erwartet, daß sich die Paare vom Vortag zusammenfanden, was auch der Fall war, zum Beispiel bei meiner Traudl und mir - ohne große Umstände, wenn auch nicht besonders dringlich.
Nicht so im Fall Rudi. Der Rudi hatte sich feingemacht, er trug ein hauchdünnes javanisches Hemd, gemustert wie eine Flagge, dazu hauchdünne javanische Hosen, in denen man, wenn man wollte, den Yati sah. In der Hand trug er ein paar alberne Gegenstände, einen Brief zum Beispiel, einen aufgeblasenen Kinderball, mit dem er nun auf die Friede losging, die jedoch, so kommunikativ sie immer sein mochte, ganz sachlich den Kopf schüttelte. Also nein. Woraufhin er, immer noch mit dem Kinderball in der Hand, ein paar Schritt weiter im Kreis sich der armen Hespe zuwandte.
Diese übertrieb allerdings, indem sie ganz unstatthaft zurückwich, regelrecht aus dem Kreis heraus, sich sogar etwas zusammenkrümmte, wobei sie die Arme dicht an den Körper zog. Körpersprache. Dabei hatte ich kurz zuvor registriert, als ich dem Mann zufällig nahekam, daß er zur Zeit keinen Körpergeruch verbreitete. Ziemlich sicher. Während eine dritte Dame, eine gewisse Linde, ganz einfach beiseite schaute, das sah so aus, als ob sie blind wäre, der Naturmensch in seinem Flaggenhemd war ja nicht zu übersehen, anscheinend sah sie ihn aber
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