Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
kann aber auch nicht sein.
Weiter kam er nicht. Weiter konnte man gar nicht kommen.
Aber die Partie war eröffnet, so viel stand fest.
Winnifred brauchte knapp zehn Minuten, um die Dissertation zu besorgen. Sie stand nicht in ihrem Zimmer, aber nach einem Besuch in der Institutsbibliothek kam sie mit einem dicken hellblauen Buch in der Hand zurück. Der vollständige Titel lautete
Narrative Structures in Early 20
th
Century English Popular Fiction.
Van Veeteren bedankte sich, legte es neben Henry Moll in seine Aktentasche und überließ die Maardamer Universität ihrem Schicksal, wie immer es auch aussehen mochte.
Er kaufte sich ein Sandwich ohne Oliven bei Heuwelinck’s zum Mittag und war kurz vor halb zwei wieder im Antiquariat. Setzte sich in die Kochnische, und während er langsam sein Brot kaute und dazu eine Flasche dunkles Bettelheimer Bier trank, begann er zu lesen.
Als Sandwich und Bier verzehrt waren, gab er auf. Blätterte lieber zum Register am Ende der Abhandlung und schaute dort nach.
Da stand es.
Moll, Henry
p 136
Er blätterte zu der angegebenen Seite zurück.
Dem Autor Henry Moll wurden dreizehn Zeilen gewidmet, nicht mehr und nicht weniger.
Strangler’s Honeymoon
wurde erwähnt, außerdem noch drei weitere Titel. In positivem, wenn auch ziemlich neutralem Ton.
Er klappte das Buch zu und schob es zur Seite. Ließ die letzten Biertropfen in sich hineinrollen.
Verdammter Mist, dachte er wieder. Aber kippt die Waage jetzt nicht doch langsam über?
Am Abend ging er mit Ulrike ins Kino. Sah den alten russischen Film
Die Kommissarin,
ein vergessenes Meisterwerk aus den Sechzigern, hinterher saßen sie noch eine Stunde bei Kraus und sprachen darüber, wie es nur möglich war, ein so vollendetes Kunstwerk unter den Zuständen zu schaffen, die nur ein Dezennium nach Stalins Tod in der Sowjetunion herrschten.
Über die erhabene Szene, in der der jüdische Schuhmacher seiner Ehefrau die Füße wäscht.
Über die Funktion des Salzes und seiner Bitterkeit im Leben. Sie redeten auch über Karel Innings, Ulrikes Ehemann, der vor ziemlich genau fünf Jahren von einer sich rächenden Frau ermordet worden war, und über Van Veeterens Sohn Erich, der jetzt seit mehr als zwei Jahren tot war.
Es kam nicht oft vor, dass sie diese Dinge berührten, aber jetzt taten sie es.
Konnte es sein, dass ihre jeweilige Trauer sie zueinander geführt hatte? Ihre Beziehung vertieft hatte und sie in gewisser Beziehung stärker hatte werden lassen, als sie unter normalen Umständen geworden wäre?
Schwere Fragen, vielleicht auch noch schlecht formuliert, und eine Antwort gab es natürlich auch nicht auf sie. Nicht an diesem Abend. Aber als sie durch den Nieselregen nach Hause gingen, spürte er, dass er sie liebte, wie ein Schiffbrüchiger wohl ein Floß liebt, das herangetrieben wird, gerade als seine Kräfte zur Neige gehen.
Ja, genau dieses Bild tauchte vor seinem inneren Auge auf.
Es war kurz vor halb zwölf, als sie wieder in Klagenburg waren, und er beschloss, das Gespräch auf den folgenden Morgen zu verschieben. Die Leute waren meistens nicht so gewappnet, wenn sie gerade aufwachten, und wenn er seine etwas indiskreten Fragen in so einer Lage stellen konnte, dann wäre das natürlich nicht schlecht.
Er stellte den Wecker auf sieben Uhr und kroch mit einem sardonischen Lächeln auf den Lippen näher an Ulrike heran.
»Was ist denn mit dir los?«, wunderte sie sich. »Sie scheinen irgendwie vor Energie nur so zu platzen, Mister Yang.«
Sie fühlte nach und stellte fest, dass es stimmte.
»Das ist der alte Jäger in mir, der erwacht ist«, erklärte Van Veeteren. »Er glaubt, eine Witterung aufgenommen zu haben.«
»Ja?«, fragte Ulrike kichernd.
Er schloss die Augen und versuchte hochzurechnen, wie viel eine Frau von achtundfünfzig Jahren, die immer noch wie ein Kind kicherte, wohl wert war.
Ziemlich viel, zu diesem Ergebnis kam er.
»Nun ja«, sagte er. »Natürlich auch deine, aber da ist noch etwas anderes…«
»Eine Beute?«
»So ungefähr.«
»Mach das Licht aus und nimm mich fester in die Arme.«
Was er auch tat.
»DeFraan.«
»Van Veeteren hier. Guten Morgen.«
»Wer?«
»Der Buchhändler Van Veeteren. Wir haben uns gestern kurz nach Ihrer Vorlesung gesprochen.«
»Ja – und?«
»Es geht um dieses Buch von Henry Moll.«
»Ja… ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Aber warum rufen Sie mich deswegen so früh an? Es ist ja noch nicht einmal halb acht.«
»Entschuldigen Sie bitte.
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