Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
weiteren roten Ampel bremsen, jetzt in der Palitzerlaan.
Andererseits gab es natürlich Gegensätze. Es gab auch Leben, die ziemlich erträglich und normal aussahen, wenn man sie von außen betrachtete, die aber Abgründe von Finsternis bereithielten. Ganz unbegreifliche Abgründe.
Vielleicht ist es genau so ein Mörder, den wir suchen, kam ihr in den Sinn. Ein scheinbar ganz normaler Mensch, der neunundneunzig Tage von hundert ganz ausgezeichnet funktioniert, der aber dann, wenn etwas reißt… oder sich aufgestaut hat… die haarsträubendsten Taten begehen kann? Ja, wenn sie genauer nachdachte, war sie immer überzeugter davon, dass das sehr wahrscheinlich erschien.
Oder jedenfalls möglich. Es konnte ein so gearteter Mensch sein, der hinter diesen Taten stand, aber andererseits – konnte es auch ganz anders aussehen. Es war riskant, zu viel zu spekulieren, das wusste sie, aber wozu zum Teufel sollte man dieses energische Gehirn sonst benutzen? Wozu, bitte?
Und warum zog sie so unbekümmert Parallelen zwischen Martina Kammerle und ihrem eigenen Leben? Wozu diente das? Sie hatte diese Tendenz an sich, sich selbst die ganze Zeit in Beziehung zu diesen armen Menschen zu setzen, um die es jeweils ging. Die Opfer und ihre verdrehten Lebensumstände.
Wollte sie sich dagegen absetzen? Ihr eigenes Licht gegen deren Dunkel stellen? War es so einfach? Dass sie nur feststellen wollte, es hätte schlimmer kommen können?
Doch, ja, so war es vielleicht anfangs gewesen, musste sie zugeben. Und es war wohl auch ganz natürlich, wenn man näher darüber nachdachte. Stellvertretendes Leiden und dazu das eine und das andere. Aber inzwischen nicht mehr. Inzwischen hatte sie eher das Gefühl, als suchte sie nach einer Art gemeinsamem Kern. Einem Punkt, in dem sie sich mit allem identifizieren konnte: mit dem Leiden, dem Elend und dem Düsteren. Das Elend
verstehen konnte.
Ihm unter die Haut kriechen.
Warum?, dachte Ewa Moreno. Warum tue ich das? Vielleicht, weil ich das Gewicht in meinem eigenen Leben vermisse? In dieser grauen Stadt zu dieser grauen Zeit.
Als sie daheim in der Falckstraat aus dem Wagen stieg, wusste sie, dass das zu einer rhetorischen Frage geworden war.
Jung saß am Computer.
Eigentlich war das eine Tätigkeit, der er sich nicht gern widmete, aber jetzt hatte Maureen einen neuen Computer bekommen, mit dem sie daheim arbeiten sollte – und wenn der sowieso schon auf ihrem gemeinsamen Schreibtisch im Schlafzimmer stand, konnte er ja ebenso gut mal nachschauen, wozu er eigentlich gut war. Groß, gelb und stromlinienförmig war er. Hatte einen Wert von über fünftausend Gulden, wenn er es recht verstanden hatte, und eine Speicherkapazität, die die eines ganzen Polizeicorps überstieg.
Jetzt wollte er ihn also im Dienste der Gerechtigkeit benutzen.
Das hatte er gedacht, als er sich vor eineinhalb Stunden vor dem Monster niedergelassen hatte, und das dachte er immer noch. Mehr noch, widerwillig musste er der Technik ein halbes Lob zollen. Verdammt, es war wirklich praktisch!
Inzwischen war es halb elf geworden, und er war allein in der Wohnung. Maureen war auf einen zweitägigen Lehrgang gefahren, und Sophie schlief bei einem Freund namens Franek, der sich immer mehr als ihr Zukünftiger abzeichnete.
Die Wohnung war fast ebenso neu wie der Computer. Auf jeden Fall neu gemietet, und es war ein Gefühl demütiger Verwunderung, die Jung überfiel, als er langsam begriff, dass das hier tatsächlich sein Zuhause sein sollte. Seins und Maureens neues Heim. Und Sophies natürlich – die bald zwanzig werden würde, die im ersten Jahr an der Universität war und die bald auf eigenen Beinen stehen würde. Wahrscheinlich eher früher als später, wenn er die Zeichen richtig deutete.
Vier Zimmer und Küche im Holderweg. Fünfter Stock mit Blick über den südlichsten Teil von Megsje Bojs und die Willemsgraacht. Frisch renoviert mit dreieinhalb Meter Deckenhöhe und Fußbodenheizung im Badezimmer. Offener Kamin.
Wenn er daran dachte, überkam ihn ein Glücksgefühl. Dass er es so unverdient gut in seinem Leben getroffen hatte, dass er sich eigentlich einen Gott anschaffen und diesem auf Knien danken sollte. Das alles hier und dann noch Maureen!
Sowie einen Supercomputer für den Heimgebrauch, wenn ihm der Sinn danach stand. So wie jetzt. Wie an diesem Novemberabend, an dem er einsam im Dunkeln saß, während der Regen gegen die Fensterscheiben trommelte und Lou Reed leise auf der CD im Hintergrund
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