Die schwarze Bruderschaft
bereits auf seiner Jungfernfahrt
heimgesucht -, und es hatte als unsinkbar gegolten. Er fragte
sich, ob einer der Gründe für die Katastrophe vielleicht die
Anmaßung war, die in diesem Namen und diesem Schiff lag;
eine Herausforderung an die Gewalten der Natur selbst, sich
dem Willen des Menschen unterzuordnen.
Was für ein sonderbarer Gedanke. Er lächelte flüchtig darüber
und rief sich selbst in die Wirklichkeit zurück, als Singh ihn an
der Schulter berührte und auf die NAUTILUS deutete. Die
Schleusenkammer öffnete sich wieder, und Yasal erschien.
Mike hätte beinahe aufgeschrien. Nach allem bisher Erlebten
hatte er geglaubt, daß ihn nichts mehr überraschen könnte, was
mit Yasal und seinen Brüdern zusammenhing, aber das
stimmte nicht. Yasal trat mit einem raschen Schritt aus der
Schleuse. Sein schwarzes Gewand wehte in der Strömung wie
in einem unsichtbaren Wind. Er trug keinen Taucheranzug.
Für ein paar Sekunden weigerte sich Mike einfach, zu
glauben, was er sah.
Sie befanden sich mehr als zweitausend Meter tief unter
Wasser. Der Druck hier unten war so gigantisch, daß er selbst
einen Panzerwagen zerquetscht hätte wie eine Konservendose,
aber Yasal trug noch immer seinen schwarzen Burnus. Weder
einen Anzug noch einen Helm oder gar eine Sauerstoffflasche.
»Das ist nicht möglich«, flüsterte Mike. »Ich... ich träume!«
»Wenn, dann träumen wir denselben Traum«, sagte Singh.
Seine Stimme klang seltsam tonlos. Was er sah, schockierte ihn
offensichtlich ebenso wie Mike. »Aber wie... wie kann denn das
sein?« flüsterte Mike fassungslos. »Er muß doch atmen. Und
der Druck... « Singh sagte nichts, und warum auch? Mike wußte
die Antwort auf seine eigene Frage ja selbst. Was er schon seit
einer geraumen Weile insgeheim vermutet hatte - jetzt war es
zur Gewißheit geworden. Yasal und seine beiden Brüder waren
keine Menschen.
Sie brauchten eine gute halbe Stunde, um in die TITANIC
hineinzugelangen. Die Anzüge schützten sie zwar zuverlässig
vor dem Wasserdruck, aber sie machten jede Bewegung zu
einer riesigen Anstrengung, und an Schwimmen war darin gar
nicht zu denken, so daß sie ein ganzes Stück weit an dem Schiff
entlanggehen mußten, ehe sie endlich einen Zugang fanden
-
das Ende des gewaltigen Risses, der den Rumpf gespalten hatte.
Er lag gerade noch im Bereich der Scheinwerferstrahlen der
NAUTILUS, und hier sahen sie die Zerstörung, die sie bisher
vermißt hatten: Die fast zehn Zentimeter dicken Stahlplatten,
aus denen der Rumpf der TITANIC gefertigt war, waren
zerrissen wie dünnes Pergament, und die dahinterliegenden
Räume bildeten ein einziges, gewaltiges Chaos aus Trümmern
und zermalmtem Metall.
Mikes Blick tastete sich an der klaffenden Wunde im Leib der
TITANIC entlang, bis er sich in der Dunkelheit verlor. Seine
Gedanken von gerade schossen ihm noch einmal durch den
Kopf. Ob es nun eine höhere Gerechtigkeit gewesen war oder
nur ein Zufall
- der Anblick dieser unvorstellbaren Zerstörung
machte ihm wieder einmal klar, wie gewaltig die Kräfte der
Natur waren. Ganz egal, zu welchen technischen Leistungen die
Menschheit einst vielleicht in der Lage sein würde, gegen die
Gewalten der Natur würde sie immer ein Nichts bleiben.
Seltsamerweise erschreckte ihn dieser Gedanke jedoch nicht,
sondern beruhigte ihn eher; auch wenn er selbst nicht sagen
konnte, warum. »Dort drüben können wir hinein. « Singh
berührte ihn an der Schulter und deutete mit der anderen Hand
auf Yasal, der bereits ein Stück vorangegangen war und auf eine
Stelle zuhielt, an der die TITANIC weit genug in den Schlamm
eingesunken war, daß der Riß fast den Boden berührte. Mike
schauderte erneut. Auch nach einer halben Stunde war der
Anblick des Beduinen, der mit wehendem Gewand vor ihnen
über den Meeresboden marschierte, noch so unwirklich wie
zuvor. Aber er folgte Singh und Yasal wortlos und so schnell er
konnte.
Trotz allem wurde es eine anstrengende Kletterei, ins Innere
des Schiffes zu kommen. Der Riß war auch hier hoch genug,
um bequem hindurchzuklettern, aber Mike mußte aufpassen,
seinen Anzug nicht an den scharfen Metallkanten zu
beschädigen, und jeder weitere Schritt in das Schiff hinein
wurde zu einem lebensgefährlichen Abenteuer. Der Boden stand
ein wenig schräg, so daß er aufpassen mußte, nicht die Balance
zu verlieren, und war mit Trümmerstücken nur so übersät. Das
Schiff war beinahe im Neunzig-Grad-Winkel gesunken, ehe es
auf dem Meeresgrund aufgeschlagen war, und
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