Die schwarze Hand des Todes
mochten. Eines Tages würden sie einknicken und ihre Last zu Tal rollen lassen: neun Leben auf einen Schlag verwirkt.
Die gut zwei Meter tiefe Aushöhlung unter dem Überhang wurde nach hinten immer flacher. Ganz vorne lag eine Hand voll feuchter grauer Federn – die Reste einer Ringeltaube, die ein hungriger Raubvogel dort zerlegt hatte. Etwas kitzelte Cooper in der Nase, ein fremder Geruch. Nicht beißend wie Benzin, sondern widerlich abgestanden und unangenehm.
Er ging in die Hocke und wartete, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Der Geruch wurde stärker – und unverwechselbar. In solchen Augenblicken dachte Cooper stets an seinen Ausbilder, der ihm beigebracht hatte, bei einem Leichenfund durch den Mund zu atmen. Chronisch verstopfte Nasen- und Nebenhöhlen seien das Beste, wenn man es häufiger mit Toten zu tun habe, hatte er gesagt.
Erst sah Cooper eine Hand, dann einen Arm. Aus dem Körper war Flüssigkeit ausgetreten und hatte die Felsen darunter dunkel gefärbt. Muskeln und Gewebe hatten sich zusammengezogen, die Haut hing schlaff und lose darüber wie bei einer Greisin. Der Unterarm war an der Seite aufgeplatzt und gab den Blick auf die darunter liegenden Muskel- und Fettschichten frei. Als Nächstes sah Cooper den Kopf, um den sich dunkles Haar ringelte. Trotz des trockenen Untergrunds und des kühlen Herbstklimas, das hier oben am White Peak herrschte, hatten die Körpersäfte den Verwesungsprozess beschleunigt und die Leiche weit gehend zersetzt. Sie musste schon seit einigen Wochen hier liegen.
Cooper wusste haargenau, was zu tun war. Es kam ihm vor, als hätten die letzten paar Tage ihn unerbittlich auf genau diesen Punkt hingeführt, zu einer zwingenden Schlussfolgerung, ohne dass er sich der einzelnen Schritte dazu bewusst gewesen wäre.
Er empfand keine Überraschung beim Anblick des verwesten Arms. Hier war keine Eile mehr geboten. Noch ein Tod, in einer sterbenden Landschaft – was konnte natürlicher sein?
32
Die Kollegen von der Spurensicherung, die mit den Ermittlungen auf der Ringham Edge Farm schon zur Genüge beschäftigt waren, jaulten laut auf, als bekannt wurde, dass weiter oben in der Felslandschaft ein weiterer faulender Leichnam ihrer harrte. Bei der knappen Personalsituation war vor dem folgenden Tag wenig auszurichten. Bis dahin hatten sie wenigstens das Schloss zu dem großen Schuppen geknackt und durch die Tore licht auf die Sache geworfen. Das Chaos in Leachs Küche zu durchforsten, entpuppte sich als langwierige Angelegenheit.
Ben Cooper half den Kriminaltechnikern bei der Rekonstruktion der Hundekampfarena. Rings um ein blutgetränktes Areal am Boden gruppierten sie die im Schuppen gestapelten Strohballen, die dem Publikum mutmaßlich als Sitze gedient hatten. Jedenfalls war das Stroh teilweise ebenfalls mit Blut bespritzt. Auch die Hosen der Zuschauer mussten etwas abbekommen haben: hier und da zeichneten sich die blassen Umrisse ihrer Beine an dem besprenkelten Stroh ab. Trotz der offensichtlichen Bemühungen, den verräterischen Blutgeruch mit Desinfektionsmitteln zu überdecken, hing er nach wie vor im jedem Winkel des Schuppens.
»Wie aus dem Mittelalter«, sagte Diane Fry und trat zu ihm auf die Schwelle.
»Ein Graus«, stimmte Cooper zu.
»Der Tierschutzbund hat eine Liste mit Namen von Verdächtigen erstellt, die bei den Hundekämpfen mitgemischt haben könnten. Vielleicht lässt sich damit endlich etwas anstellen.«
»Schön. Aber was ist mit Ros Daniels? Ist sie hier gewesen, bevor sie starb?«
Den ausgebrannten Pick-up, der ein paar Meter vom Schuppen entfernt stand, hatte die Polizei mit Absperrband umzäunt. An den Händen der verwesten Leiche unter den Katzensteinen waren Benzinspuren festgestellt worden – wenigstens eine mögliche Verknüpfung mit den Vorgängen auf der Farm. Aber das Team ermittelte ohnehin schon unter Hochdruck; wann die Beamten dazu kommen würden, das Fahrzeug genauer unter die Lupe zu nehmen und Rückschlüsse zu ziehen, war die große Frage.
Selbst die Identifizierung der Leiche gestaltete sich schwierig. Vom Alter und der allgemeinen äußeren Erscheinung her konnte es sich durchaus um Ros Daniels handeln, doch ihre Gesichtszüge waren infolge der Kopfverletzungen und der fortgeschrittenen Verwesung kaum noch auszumachen. Sie war ganz in Schwarz gekleidet gewesen, mit Jeans, Pullover und einer Nylonmütze, die neben ihr am Boden lag. Um ihren Hals hing eine Kette mit der stilisierten Gravur eines
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