Die schwarze Hand des Todes
Beleuchtung auf.
»Keinen Schritt näher.«
Maggie wurde augenblicklich wieder ruhig. »Haben Sie das nötig?«, fragte sie. »Sie, die Meisterin im unbewaffneten Kampf?«
»Woher wissen Sie das?«
»Sie sind ja nicht der einzige Mensch mit Personalakte. Zur Person eines jeden Polizeibeamten gibt es eine sehr detaillierte Akte. Mit den entsprechenden Beziehungen hat man zu allem Zugang.«
Maggie ging auf sie zu, und Fry wich zurück, darauf bedacht, sie nicht bis auf Armeslänge an sich herankommen zu lassen. Eins hatten ihre Lehrer wieder und wieder betont: Bei einer Messerattacke musste sie vor allem darauf gefasst sein, möglicherweise verwundet zu werden.
Sie stieß mit dem Rücken an ein Tor, schnellte herum und verlor das Gleichgewicht. Der Schmerz schoss aus dem Knöchel hoch ins Bein. Ihr Fuß wurde taub, das ganze rechte Bein gab einen Moment lang nach. Maggie ging Schritt um Schritt weiter vor und trieb Fry von den Kälberpferchen weg zu der leeren, stillen Arena für das Mastvieh. Über die Schulter sah Fry, dass sie sich auf das Tor am Ende der Passage zubewegten. Sollte sie sich dem Kampf stellen und darauf vertrauen, dass sie einen Messerangriff mit dem Schlagstock würde abwehren können? Nein, das Beste war wohl, Maggie hinzuhalten, bis die Verstärkung eintraf.
Bei einer zeremoniellen Kata zwischen zwei gleich starken und gleich wachsamen Karatekämpfern kam es darauf an, die erste Blöße des Gegners wahrzunehmen und einen Schlag zu platzieren. Die Bewegungen folgten dabei einem rhythmischen, formellen Ablauf, so wie hier. Doch hier konnte die erste Blöße für Fry die letzte gewesen sein. Sie musste das Messer im Auge behalten, durfte sich nicht von Maggies Blick ablenken lassen. Sie musste Maggie zum Weiterreden ermuntern.
»Werfen Sie das Messer weg, Maggie.«
»Und zum Thema Erinnerungen brauchen Sie mir auch nichts zu erzählen«, sagte Maggie. »Was Erinnerungen sind, das weiß ich – nun, da Ros tot ist.«
»Aber wie ist sie gestorben, Maggie?«
Unvermittelt stieß Maggie mit dem Messer zu – ein lässiger Seitenhieb, ohne auch nur hinzusehen, was sie damit traf. Die Klinge durchschnitt die Plastikwand eines der Fässer wie Papier. Ein ekelhaft süßlicher Geruch machte sich breit.
Fry sah nur kurz hin, dann durchschaute sie das Ablenkungsmanöver und richtete den Blick wieder auf Maggie.
Sie rief sich die Goldenen Regeln für Fälle wie diesen ins Gedächtnis: Abstand halten, Deckung suchen, Hilfe anfordern. Die Hände ihrer Gegnerin nicht aus den Augen lassen. Hellwach bleiben, Alarmstufe Rot. Auf Verletzungen gefasst sein. Mit der Linken tastete sie hinter ihrem Rücken nach dem Tor, schob es blitzschnell auf und schlüpfte durch den Spalt. Plötzlich unternahm Maggie einen Scheinangriff; Fry wich mit einem Satz zurück und geriet ins Straucheln. Der Knöchel tat höllisch weh. Nun waren sie in der eigentlichen Auktionsarena, tänzelten von einer Seite zur anderen, vor und zurück, immer bedacht auf eine vorteilhafte Position und darauf, einander nicht zu nahe zu kommen. Ihre Bewegungen erfolgten spiegelbildlich. Fry hatte fast den Eindruck, dass Maggie sie nachahmte und ebenfalls ein Bein nachzog.
Die rotierenden Lichter der ersten, neu eintreffenden Streifenwagen blitzten durch die Fugen der Lattenwand und trafen auf die Deckenbeleuchtung und den Zuschauerbereich. Sie ließen alles in der Arena verzerrt erscheinen und tauchten die Sitzreihen in ein Wechselbad aus Licht und Schatten. Beinahe sah es so aus, als säße dort oben eine winkende, jubelnde, stampfende Menschenmenge, die nur darauf wartete, mit einer Daumenbewegung nach unten den Verlierer zu bestimmen.
Verflucht, dachte Fry. Es war immer das Gleiche: Genau dann, wenn sie sie brauchte, hatte sie keine Schutzweste an. Ihr Gewicht behinderte sie in ihren Bewegungen, deshalb hatte sie sie heute weggelassen. Ihr Schlagstock war zwar handlicher und unauffälliger als das Modell, das die Kollegen von der Streife verwendeten, aber er diente vor allem als Angriffswaffe und nicht etwa zur Verteidigung gegen eine Messerattacke. In Uniform wäre Fry besser gerüstet gewesen. Die dünne Jacke, die sie trug, bot keinerlei Schutz vor einer scharfen Klinge. Brust und Unterleib lagen praktisch bloß. So nackt und bloß wie ihre Hände; die Linke hielt sie in offener Abwehr Maggie entgegen, in der klassischen Verteidigungshaltung, die sich in allen einschlägigen Lehrbüchern fand. Sie malte sich aus, wie das Messer ihre
Weitere Kostenlose Bücher