Die schwarze Hand des Todes
Cooper sehr viel daran gelegen zu wissen, was sein Bruder empfand, und seine Gefühle auch mit ihm zu teilen, denn seine eigenen Erinnerungen an den Vater waren von Bitterkeit getrübt. Das war eine schmerzhafte Erfahrung, weil sie zu allem im Widerspruch stand, was er zu seinen Lebzeiten für ihn empfunden hatte. Als ob er auf einem vom Sockel gestürzten Idol herumtrampelte.
Matt dagegen sah in ihrem Vater wohl noch immer das große Vorbild. Und er machte die Polizei für seinen Tod verantwortlich.
Wenn Matt nur wollte, konnte er etwas über Warren Leach in Erfahrung bringen. Er hatte natürlich Recht – Leach war nicht der einzige Landwirt, der in Schwierigkeiten steckte. Im gesamten Peak District standen Farmen leer. Anfangs waren sie noch von reichen Städtern aufgekauft worden, die gern damit prahlten, dass sie sich »ein Landhaus mit großem Garten« zugelegt hatten, und sich dabei ungeheuer witzig fanden. Am schlimmsten waren die Typen, die Bauernhof spielten und seltene Schafrassen, vietnamesische Hängebauchschweine, einen Esel und eine Ziege hielten. Wenn sie so etwas sahen, kriegten die echten Farmer Zustände.
Doch inzwischen wurden die Käufer wählerischer. Ältere, abgewirtschaftete Farmen blieben manchmal monatelang unverkauft. Auch die Pläne der neuen Besitzer, die jeweils dazugehörigen Ländereien zu verkaufen, um mit dem so erzielten Gewinn das Wohnhaus zu renovieren, gingen nicht mehr auf. Die angrenzenden Farmer nahmen ihnen die Flächen nicht ab – sie hatten kein Geld. Oft hätten sie das Land auch gar nicht gewollt, schwierig zu bewirtschaftende Hanglagen zum Beispiel, die höchstens als Schafweide taugten. Aber auch Schafe brachten längst nichts mehr ein.
Cooper stand auf und ging nach oben, um noch einen Blick bei seiner Mutter hineinzuwerfen. Sie schlief, tief und ruhig. Er konnte ihr immer am Gesicht ablesen, wie es um ihre seelische Verfassung bestellt war; das Chaos im Gehirn spiegelte sich in ihren verzerrten Zügen wider, auch im Schlaf. Aber heute sah sie friedlich aus.
Beruhigt wusch er sich und zog sich um. Als er wieder nach unten kam, saßen Amy und Josie mit ihren Eltern am Küchentisch. Das Zimmer war voll von Leben und Geräuschen. Cooper winkte ihnen vom Korridor aus zu und verließ durch die Hintertür das Haus.
Er blieb noch einen Augenblick stehen und betrachtete die Farm. Die Umrisse der Gebäude traten immer klarer hervor, je mehr seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Die Kühe raschelten im Stroh, einer der Hunde stöberte schnüffelnd im Hof herum, ein Fasan keckerte. Vielleicht hatte ihn ein Fuchs aufgeschreckt. Jenseits der Scheune ragte der Berg mit seiner kahlen Kuppe in den Abendhimmel.
Die meisten Felder und Weiden hier unten im Tal waren gutes, fruchtbares Land. Die Coopers hatten die Bridge End Farm von ihrem Großvater mütterlicherseits geerbt, der steinalt geworden war. Noch als hochbetagter Greis war er in seinem abgewetzten schwarzen Anzug und den Armeestiefeln über den Hof getapst, die Hosenbeine mit Zwirn zusammengebunden. Nach seinem Tod war die Farm auf ihre Mutter übergegangen, der sie bis heute auch offiziell gehörte. Aber bewirtschaftet wurde sie von Anfang an von Matt, der nach dem Besuch der Landwirtschaftsschule bereits erste Berufserfahrungen bei einem großen Pachtbetrieb gesammelt hatte.
Ihr Vater, Joe Cooper, hatte sich nie für die Farm interessiert. Er war froh, dass er Matt die Verantwortung dafür überlassen konnte, auch wenn er an seinen dienstfreien Tagen hin und wieder die Ärmel hochkrempelte und Heuballen stapelte oder die Schafe zusammentrieb. Joe war ein Bär von einem Mann gewesen, groß und stark. Eine Mistgabel in den Pranken, den Hemdkragen weit offen stehend, lachend vielleicht und mit seinen Söhnen herumalbernd, so hätte Bens bleibende Erinnerung an ihn vielleicht aussehen müssen. Aber das tat sie nicht. Ganz und gar nicht.
Cooper fragte sich, was wohl die Zukunft für die Farm bringen würde. Manche Farmer gaben auf – sie gingen pleite oder suchten sich eine andere Arbeit, solange sie noch konnten. Weiden lagen brach, höher gelegene Felder wucherten mit Adlerfarn zu, Schandflecke in der Landschaft des Peak District. Ohne die Hege und Pflege durch die Bauern verlor der Nationalpark sein Gesicht. Binnen ein, zwei Generationen würde er nicht mehr wiederzuerkennen sein.
Mit jeder Familie, die ihren Hof aufgeben musste, beschleunigte sich die Landflucht und wuchs das Heer der Arbeitslosen in den
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