Die schwarze Hand des Todes
auf denen ›Smile!‹ stand.«
Es hatte Jenny auch deprimiert, wie schnell ihre Mitarbeiterinnen ausbrannten – selbst die besten Kräfte hielten es in diesem Job kaum länger als zwölf Monate aus. Viele von ihnen sahen in Ehe und Familie den einzigen Ausweg.
»Noch nicht einmal richtige Freunde hat sie gefunden. Sie war lieber mit Tieren zusammen als mit Menschen. Vielleicht hätten ihr Freundschaften gut getan. Aber es war schwierig. Weil die Kolleginnen so schnell wechselten, hatte Jenny kaum Gelegenheit, sie über einen längeren Zeitraum besser kennen zu lernen. Und wer fängt denn heutzutage auch in so einem Call-Center an? Alles bloß angelernte Schulabgänger, die sich einen Kopfhörer aufsetzen und sich einbilden, sie wüssten jetzt, was Arbeit ist. Das kann ich in meinem Beruf jedes Jahr aufs Neue beobachten, wie die jungen Leute voller Hoffnung ins Berufsleben hinaustreten. Aber ich weiß, was aus ihnen werden wird. Da können wir uns noch so viel Mühe mit ihnen geben, viele von ihnen enden trotzdem in so einem Anlernjob. Es ist traurig.«
»Hat Jenny auch nach einem Ausweg gesucht?«, fragte Tailby.
»Aber ja.«
Natürlich wollte sie aus diesem Job heraus, wie alle anderen auch. Am liebsten hätte sie mit Tieren gearbeitet, als Tierarzthelferin oder im Naturschutz. Aber sie hatte ja keine Ausbildung, sie konnte nichts anderes machen. Ab und zu dachte sie an ihre Karriere als Radiologin, die sie aufgegeben hatte. Das sei für sie das Schlimmste gewesen, sagte Eric Weston. Zu wissen, dass der Zug abgefahren war.
»Das Einzige, woran Jennys Herz wirklich hing, war der Peak District. Als sie noch ein Kind war, sind wir oft am Wochenende und in den Sommerferien hier herausgefahren. Wir haben Tagesausflüge nach Dovedale und Castleton unternommen. An der Uni ist sie in einen studentischen Wanderverein eingetreten. Sie haben hier sämtliche Berge bestiegen. Einmal sind sie den ganzen Pennine Way entlang gewandert und haben unterwegs in Jugendherbergen übernachtet. Hierher hat es sie immer wieder zurückgezogen.«
Später, nach ihrer Scheidung, verbrachte Jenny fast ihre gesamte freie Zeit im Peak District, aber meistens war sie allein unterwegs, weil ihre Freundschaften einfach nicht halten wollten. Ein paar Mal hatte sie auch Reiterferien gemacht. Touren mit dem Mountainbike unternahm sie erst seit kurzem. Sie hatte zwar ihr eigenes Rad zu Hause, fand es aber praktischer, sich an Ort und Stelle eines auszuleihen. Oft fuhr sie auf den Radwegen, die auf den Trassen der stillgelegten Eisenbahnlinien angelegt worden waren. Aber manchmal, wenn es sie überkam, fuhr sie auch hinauf ins Moor.
»Ja, das Ringham Moor mochte sie besonders gern«, sagte Mr Weston. »Wir waren vor Jahren einmal da, Jenny und ihr Bruder John, Susan und ich. Eine glückliche Familie.«
Vielleicht hatte Jenny die schönen Erinnerungen an damals wieder aufleben lassen wollen, an eine Zeit, in der sie glücklicher gewesen war als sonst in ihrem Leben. Ob sie einen bestimmten Grund gehabt hatte, gerade an diesem Tag in den Peak District zu fahren, wusste Mr Weston nicht. Warum sie nach Ringham wollte, konnte er ihnen auch nicht sagen. Er hatte ihnen alle Informationen gegeben, die er besaß.
Für Ben Cooper waren nach dem Ende der Befragung noch viele Fragen offen. Jenny Weston war ein Mensch wie jeder andere gewesen. Sie hatte nichts Herausragendes geleistet, in ihrem Leben war ihr nichts Außergewöhnliches passiert. Konnte man wirklich nicht mehr über sie sagen, als dass sie eine Frau gewesen war, die immer wieder die falschen Entscheidungen getroffen hatte? Wenn ja, hatte sich eine dieser Entscheidungen als tödlich erwiesen.
6
Die gemütliche Küche der Bridge End Farm war der Raum, in dem sich die Coopers am häufigsten aufhielten. Bei sechs Leuten unter einem Dach, darunter zwei Kindern, konnte es nicht ausbleiben, dass sie ein wenig verwohnt war. Obwohl Ben Cooper noch immer auf der Farm wohnte, verbrachte er seit einigen Wochen immer weniger Zeit bei seinem Bruder und dessen Familie. Er wusste selbst nicht genau, woran das lag. Schließlich lebte auch noch seine Mutter im Haus, die auf seine Hilfe angewiesen war.
Matt war hereingekommen, als es draußen zum Arbeiten zu dunkel geworden war. Er saß am Küchentisch und las die Farmers Weekly, die wie immer Katastrophenmeldungen über die Zukunft der Landwirtschaft verbreitete. Seine Frau Kate und die beiden Töchter waren im Wohnzimmer und sahen sich im Fernsehen einen
Weitere Kostenlose Bücher