Die schwarze Hand des Todes
schutzlos ausgeliefert. Wegen der Eintönigkeit der Landschaft, die keinerlei Abwechslung bot, gab es auch kein Entkommen vor den eigenen Gedanken. Oder vor dem Menschen, der neben einem herstapfte.
Bei den Katzensteinen frischte der Wind noch mehr auf. Cooper fröstelte, Fry zog ihren Jackenkragen höher. Pflanzen waren im Ringham Moor die einzigen Lebensformen. Doch auch sie waren bereits braun und welk und spröde. Bis zu dem Turm, der sich über dem Steilabbruch im Osten erhob, war die Landschaft menschenleer.
»Vielleicht soll es ein Test sein, Diane«, sagte Cooper nach einer Weile.
»Wie bitte?«
»Dass man dich auf Maggie Crew angesetzt hat. Du hast die schwierigste Aufgabe von allen. Vielleicht wollen sie dich durch die Mangel drehen, um zu sehen, ob du an der anderen Seite wieder rauskommst.«
Fry antwortete nicht gleich. Den Blick starr nach vorne gerichtet, konzentrierte sie sich ganz auf den Weg, ohne von den kargen Reizen des Hochmoors auch nur das Geringste wahrzunehmen.
»Keine Bange«, sagte sie schließlich. »Ich komme überall durch.«
10
Ben Cooper erkannte einen Märtyrer auf den ersten Blick. Für ihn bestand nicht der leiseste Zweifel, dass er mit diesem Urteil bei Yvonne Leach richtig lag. Sie hatte den ergebenen Blick und das geduckte Auftreten eines Menschen, der sich in jahrelangen aussichtslosen Kämpfen aufgerieben hat.
Aber das war noch nicht alles. In ihren Augen lag der gleiche Ausdruck, den Cooper früher oft genug bei seiner Mutter beobachtet hatte, der Blick einer Frau, die sich so bereitwillig in ihre Rolle als Märtyrerin fügte, als ob sie ihr vom Schicksal vorherbestimmt worden wäre. Dieses zur Schau getragene Minderwertigkeitsgefühl hatte Cooper bei seiner Mutter irgendwann unerträglich gefunden, obwohl sie eigentlich das falsche Ziel für seine Wut gewesen war. Inzwischen war sein Zorn längst verflogen. Erst der Anblick der Farmersfrau riss die alte Wunde wieder auf.
»Entschuldigen Sie die Störung, Mrs Leach. Ist Ihr Mann zu sprechen?«
»Nein. Und ich weiß auch nicht, wo er ist«, antwortete sie.
»Irgendwo auf der Farm vielleicht?«
»Vielleicht.«
Sie hatte Cooper nicht ins Haus gebeten. Stattdessen hatte sie ihn von der Tür aus Schritt für Schritt in den Hof abgedrängt, so dass er noch nicht einmal einen Blick hineinwerfen konnte. Ihre abwehrende Haltung überraschte ihn nicht. Viele der kleinen Bergbauern mussten sich in diesen Zeiten nach der Decke strecken, vor allem, wenn sie kleine Kinder hatten. Aber wenn auch das nichts mehr nützte, wenn die Lage aussichtslos geworden war, fiel meistens die ganze Last des Scheiterns auf die Frauen. Sie waren die Ersten, die die inneren Risse spürten, an denen ihre Familien zu zerbrechen drohten. Obwohl sie alles taten, damit niemand etwas davon merkte, konnten die verräterischen Anzeichen einem geübten Auge nicht entgehen.
»Sein Landrover ist nicht da«, sagte er.
»Dann wird er wohl weggefahren sein.«
»Wissen Sie, wohin, Mrs Leach?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Er sagt mir doch nicht jedes Mal, wo er hinwill. Wozu sollte er?« Sie klang fast trotzig.
Cooper musterte sie genauer. Ihre Kleidung war alt, aber frisch gewaschen und gebügelt. Das mit den ersten grauen Strähnen durchzogene Haar war zwar schon lange nicht mehr beim Friseur gewesen, aber ordentlich gebürstet und nach hinten gebunden. Heute Morgen hatte sie sogar etwas Schminke aufgelegt, verwischter Lippenstift, die Wangen leicht gepudert.
»Wenn Sie Ihren Mann sehen, würden Sie ihm bitte ausrichten, dass wir ihn gern noch einmal sprechen möchten?«, fragte er.
Da lächelte Mrs Leach. Es war ein seltsam frohes Lächeln, das um ihre leise zuckenden Lippen spielte. Cooper hatte den Eindruck, dass sie kurz vor einem hysterischen Anfall stand, am Rand eines Zusammenbruchs. Wenn er doch nur etwas länger bleiben und mit ihr reden könnte. Sie brauchte medizinische Hilfe, bevor es zu spät war. Zu spät: die traurigsten Wörter, die es überhaupt gab. Aber das konnte er nicht. Es war nicht seine Aufgabe.
»Wenn ich ihn sehe«, sagte sie. »O ja, das richte ich ihm aus, wenn ich ihn sehe.«
»Und wie geht es den Jungen?«
Sie machte ein erstauntes, fast erschrockenes Gesicht.
»Was?«
»Will und Dougie. So heißen sie doch? Ich habe sie gestern getroffen. Zwei prächtige Kerlchen.«
»Ja.« Mrs Leach zog ein Taschentuch hervor und fing an, es zu zerknüllen, während sie Cooper argwöhnisch beäugte.
»Sie haben das Kalb
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