Die schwarze Hand des Todes
besonders intelligente Fragen gestellt.«
»Dann könnte Ihnen Jenny aufgefallen sein. Sie hat sich nämlich sehr für Geschichte interessiert.«
»Das tun viele Leute.«
Nach dem Messerüberfall auf die Anwältin war die in Hammond Hall für die Koordination der ehrenamtlichen Helfer zuständige Mitarbeiterin zu Maggie Crew befragt worden. Sie hatte sie als ausgesprochen kenntnisreich beschrieben, nur vielleicht eine Spur zu kühl und reserviert. Aber bei manchen Besuchern sei sie wegen ihres enormen Wissens besonders gut angekommen.
»Möglicherweise hatte Jenny etwas mit Ihrer Autoversicherung zu tun«, sagte Fry. »Oder mit Ihrer Gebäudeversicherung.«
»Das glaube ich kaum.«
»Wieso? Ich habe Ihnen doch noch gar nicht gesagt, bei welchem Unternehmen sie gearbeitet hat.«
Maggie betrachtete Fry aus dem Augenwinkel. »Mir reicht es langsam. Was erwarten Sie eigentlich von mir?«
»Dass Sie uns helfen, Jenny Westons Mörder zu finden.«
»Und warum sollte ich das tun?«
Bei dieser Frage wandte sie sich weiter zu Fry um. Die Polizistin hoffte inständig, dass sie sich nicht völlig umdrehte. Nachdem sie schon so weit gekommen war, wollte sie sich auf gar keinen Fall aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Sie durfte sich ihre Reaktion auf den Anblick des entstellten Gesichts nicht anmerken lassen.
»Weil wir vermuten, es ist derselbe Mann, der Ihrem Gesicht das angetan hat, Maggie.«
Der Schreibtisch war fast leer, bis auf einige wenige ordentlich nebeneinander aufgereihte Objekte, ein Briefbeschwerer, ein Aschenbecher, ein Telefon und ein dolchförmiger Brieföffner mit scharfer Klinge und einem mit künstlichen Rubinen besetzten Griff, der dem Betrachter in der sonst so nüchtern eingerichteten Wohnung regelrecht ins Auge sprang. Das Licht der Lampe spiegelte sich in den roten Steinen. Gedankenverloren drehte Maggie den Dolch so herum, dass er mit der Spitze auf Fry zeigte, dann legte sie ihn rasch wieder neben den Briefbeschwerer und stellte das geometrische Gleichgewicht wieder her.
»Eine Frage hätte ich noch«, sagte Maggie. »Wie wurde die Frau getötet?«
»Sie wurde erstochen.«
Maggie ließ blitzschnell den Dolch los, den sie Sekunden zuvor erneut ergriffen hatte, und nahm einen Stift in die Hand.
»Sie verschwenden Ihre Zeit mit mir. Ich kann mich nur an das erinnern, was ich bereits ausgesagt habe.«
»Glauben Sie wirklich, dass Erinnerungen für immer verschwinden? Ich nicht. Sie werden wiederkommen, Maggie. Und zwar in einem Augenblick, wenn Sie am wenigsten damit rechnen. Irgendetwas Alltägliches wird sie zurückbringen. Ein Gesicht im Fernsehen, das Sie an jemanden erinnert, ein Kleidungsstück, das sie an dem Tag des Überfalls getragen haben. Ihr nächtliches Spiegelbild in einem Fenster.«
Maggie kniff verärgert die Lippen zusammen, und die Falten um ihr gesundes Auge glätteten sich.
»Die Erinnerungen kehren wieder, Maggie«, beharrte Fry. »Es ist besser, sie hochkommen zu lassen, wenn man darauf vorbereitet ist, als ihnen plötzlich ungewappnet gegenüberzustehen. Das können Sie mir glauben.«
Maggie starrte sie an. »Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?«
Fry rang sich ein Kopfnicken ab. Es war lächerlich. Die simple Frage der Anwältin hatte genau das ausgelöst, wovor sie Maggie gewarnt hatte. Die Erinnerungen prallten mit solcher Wucht auf sie ein, dass sie ihnen nicht gewachsen war. Sie musste den Blick abwenden. Von ihrem Vorsatz, der Frau in die Augen zu blicken, war nichts mehr übrig. Sie konzentrierte sich auf den Vorhang am Fenster, zählte die Messingringe an der Stange und atmete ein paar Mal langsam und gleichmäßig ein und aus.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie sich wieder ganz unter Kontrolle hatte. Sie wusste, von außen war ihr kaum etwas anzusehen. Die meisten Menschen merkten nichts, schon gar nicht die männlichen Kollegen. Aber Maggie, die sie schweigend beobachtete, ließ sich nicht täuschen. Als Fry wieder im Stande war, sie anzusehen, war etwas anders als vorher. Ein undefinierbarer Stimmungsumschwung, als ob jemand die Heizung eingeschaltet hätte und ein Hauch von Wärme in die kalten Wände gekrochen wäre.
»Kann ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?«, fragte die Anwältin.
Sie stand auf und ging in die nebenan gelegene Küche. Während Fry wartete, blätterte sie in ihren Aufzeichnungen und überprüfte die Punkte, die sie bei dieser Sitzung hatte zur Sprache bringen wollen. Ein Thema, das sie bis jetzt noch nicht erwähnt
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